Meine letzte Stunde
der Islam der Selbstmordattentäter sind einander dabei bisher in der Geschichte nichts schuldig geblieben. Doch der Wahnsinn stirbt nicht aus. 1978 führte Jim Jones die über 900 Mitglieder seiner Peoples-Temple-Sekte in Guayana in den kollektiven Selbstmord. Das ist nur ein besonders drastisches Beispiel von vielen. Wann immer der Mensch die moralische Verantwortung für sein Tun in dieser Welt an eine vermeintlich höhere Instanz in einer anderen Welt abgibt, gefährdet er sich und andere. Bedingungslos glauben, ohne zu lieben endet immer bei den Taliban oder den Inquisitoren, davor ist keine Religion oder Gemeinschaft gefeit.
Das Vakuum, das der Verlust des Glaubensmonopols der Kirche bei uns hinterlassen hat, ist groß. Manche Menschen erliegen daher der Versuchung, sich der Verantwortung für ihre letzte Stunde durch die Delegation an eine Sekte oder eine esoterische Lehre entledigen zu können. Das Angebot an Scharlatanen, die versprechen, die Wahrheit über das Danach zu kennen, ist viel breiter und bunter als im Mittelalter. Seien diese Angebote auch noch so verlockend, so haben sie alle einen Mangel: Niemand kann uns mit Sicherheit sagen, wie es nach unserem Tod weitergeht. Wir wissen es nicht. Umso mehr sollten wir Verantwortung für die Seite übernehmen, die wir kennen. Mit der letzten Stunde sind wir auf der sicheren Seite. Daher bin ich für die Privatisierung der letzten Stunde. Meine letzte Stunde gehört mir.
Das ist kein Buch über die Frage, wie es nach unserem irdischen Leben weitergeht. Das steht in einem anderen Buch. Diese Frage lässt sich aber nicht völlig ausklammern, wenn man sich mit seiner letzten Stunde beschäftigt. Ich werde daher die sehr unterschiedlichen Perspektiven von gläubigen Menschen, von Atheisten und von Agnostikern anbieten. In einem sind sich alle einig: Die Verantwortung für sein gesamtes Tun auf Erden muss jeder Einzelne selbst tragen, die kann einem niemand abnehmen. Ob wir die erreichte Punktezahl am Ende unseres Lebens in eine höhere Spielklasse mitnehmen können oder ob alles nur wieder zurück in die große Spielbox wandert, daran scheiden sich die großen Geister genauso wie an der Frage, ob es Gott ist, der würfelt.
Glauben oder nicht? – das ist die Frage
Wenn der Tod das Ende bedeutet, was bleibt dann? Alles oder Nichts .
Nichts im Verständnis eines überzeugten Atheisten wie Christian Rainer: „‚Die Welt ist alles, was der Fall ist.‘ Dieser Satz von Wittgenstein aus dem ‚Tractatus Logico-Philosophicus‘ ist zentral für meine Lebenseinstellung. Deshalb bin ich überzeugter Atheist. Das hat offensichtlich aber nichts mit meiner Angst vor dem Tod zu tun, weil das andere Atheisten nicht nachvollziehen können. Was von mir bleibt, ist mir völlig egal. Das Wort ‚danach‘ ist für mich eine poetische Fiktion. Der Sinn meines Lebens liegt in der Freude und an der Lust am Leben.“
Alles im Verständnis des Benediktinermönchs David Steindl-Rast. Bruder David, wie er sich nennt, ist der beeindruckendste Mensch, der mir bisher begegnet ist. Er hat mein spirituelles Leben wesentlich geprägt. [3] Wie wenige andere versteht er es, die Lehre des Christentums in zeitgemäßer Form zu erklären. Für ihn wird unser Selbst im Tod keineswegs zerstört, sondern es geht als Ganzes in ein größeres Leben hinüber. Das ist seine Überzeugung von Auferstehung. Auferstehung ist für ihn eben nicht ein Leben nach dem Tod oder eine Wiedergeburt, weil der Fluss des Lebens nicht umgekehrt werden kann. Sein Glaube sagt, dass wir in ein größeres, höheres, volleres Leben sterben und darin aufgehen. Dieser Glaube ermöglicht es, sich vom Begriff der unsterblichen Seele zu verabschieden, ohne damit die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben aufzugeben. Die Auferstehung des Körpers ist übrigens eine sehr traditionelle Überlieferung im Christentum, die davon ausgeht, dass die Person untrennbar aus Leib und Seele besteht. Ein körperloser oder, noch härter formuliert, ein entleibter Mensch ist kein Mensch mehr. Bruder David spricht daher von einem Leben, das über den Tod hinausgeht, und nicht von einem Leben nach dem Tod. Er sieht darin eine neue Schöpfung der gesamten Person, also von Körper und Seele. Sein Verständnis der christlichen Auferstehung ist daher viel näher den östlichen Lehren als dem westlichen Verständnis von der Unsterblichkeit der Seele.
Die Lehre von den letzten Dingen
Die Eschatologie, die „Lehre von den letzten Dingen“,
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