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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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ist die Lehre von den Hoffnungen auf Vollendung des Einzelnen (individuelle Eschatologie) und der gesamten Schöpfung (universale Eschatologie) . Sie ist für Bruder David nicht nur zentraler Glaubensbestandteil des Christentums, sondern die scharfe Trennlinie zum Atheismus und zum Agnostizismus. Darin sieht Bruder David auch viel Gemeinsames im Christentum und den Lehren des Buddhismus. Wir werden als Individuen geboren, unsere Persönlichkeit entwickeln wir aber durch Beziehungen zu anderen. Unsere Individualität definiert sich über Abgrenzung, aber erst die Verbundenheit mit anderen macht uns zur Persönlichkeit. Und tiefe Liebe ist das entscheidende Element, das uns mit anderen verbindet. Paradoxerweise finden wir unser wahres Selbst erst, wenn wir uns anderen schenken und uns dabei scheinbar verlieren.
    Auch mit dem Dogma der körperlichen Auferstehung verbinden die meisten eher eine Hoffnung als eine konkrete Vorstellung. Gerade für Gläubige ist es daher notwendig, sich mit der christlichen Mythologie von Himmel, Hölle, Fegefeuer und Jüngstem Gericht auseinanderzusetzen, wenn sie inneren Halt in ihrer Religion finden wollen. „Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht“, hat schon der große christliche Denker Albert Schweitzer gesagt.
    Wir können zur Erkenntnis gelangen, dass viele christliche Begriffe wie die körperliche Wiederauferstehung oder das Jüngste Gericht nicht wörtlich genommen werden sollen, sondern als poetische Bilder dienen, hinter denen aber sehr wohl Realitäten stehen, die Bedeutung haben. So verstanden, gibt es einen Zusammenhang des Bildes vom Fegefeuer mit dem der Wiederauferstehung. Beide sind Antworten auf die gleichen Fragen: Gibt es eine letzte Gerechtigkeit? Sollen wir an unserem Karma arbeiten?
    Man kann beide Fragen mit Ja beantworten, ohne deshalb daran glauben zu müssen, dass irgendwo ein Feuer ewig brennt, in dem jeder Sünder bei einer bestimmten Temperatur von seinen Sünden gereinigt wird, wie das die apokalyptischen Bilder des Hieronymus Bosch vermitteln. Die Idee der Wiedergeburt lehnt Bruder David weniger aus dogmatischen, sondern vor allem aus Gründen der spirituellen Praxis ab. Nur wenn wir den Tod als etwas Endgültiges begreifen, können wir der Versuchung widerstehen, notwendige Entscheidungen nicht zu treffen. Vieles wird natürlich scheinbar leichter, wenn man sich einreden kann, dass man ohnehin noch ein Leben haben wird, in dem man es dann besser machen kann. Wenn wir dagegen die Zeit, die uns gegeben ist, als etwas sehr Begrenztes sehen, fällt es uns viel schwerer, die wichtigen Dinge immer wieder aufzuschieben – so lange, bis es zu spät ist. Den Satz „Später ist zu spät“ von Ralph Waldo Emerson werden auch die meisten Agnostiker und Atheisten unterschreiben.
    Die schlechte Nachricht: Der Tod ist endgültig. Die gute Nachricht: Etwas Neues beginnt.
    An Bruder David imponiert mir, dass seine Lehre so pragmatisch an unseren realen Ängsten ansetzt und nichts abgehoben verklärt: So widerspricht er dem schönen Image, dass wir ruhig einschlafen werden, denn Sterben ist für ihn etwas radikal anderes. Er glaubt auch nicht, dass wir, wie wir aus vielen Nahtod-Erfahrungen gehört haben, durch einen langen Tunnel gehen, an dessen Ende wir Licht sehen. Er ist sehr skeptisch gegenüber Begriffen wie Nahtod und Leben nach dem Tod. Wenn der Tod tatsächlich das Ende der Zeit bedeutet, dann kann es kein „Leben danach“ geben, dann kann es danach überhaupt nichts mehr geben. Der Tod selbst kennt kein Danach, das hieße die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit des Phänomens des Todes zu verkennen. Für Bruder David wäre es ein zu harmloses Bild, zu glauben, dass unser Körper stirbt und unsere Seele weiterlebt. Gibt es wirklich eine unabhängige Seele, die man so einfach von unserem Körper abtrennen kann? Genau das ist eine Sehnsucht, ja sogar eine Erwartung, die gar nicht so wenige haben, wenn sie darüber nachdenken, wie es nach ihrem Tod weitergehen könnte. Lassen wir uns einmal auf den Gedanken ein, dass der Tod das Ende bedeutet, aber etwas völlig Neues beginnt, in das wir als Ganzes aufgehen, dann kann das durchaus auch eine schöne Vorstellung sein.
    Stellen wir uns einmal vor, dass Zeit eine Maßeinheit für die Energie ist, die es braucht, um zu wachsen. Und Wachstum heißt dabei, von einem Zustand in einen anderen überzugehen, eine Phase zu beenden,

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