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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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durch die leere Wohnung schweifen und nimmt die Briefe in die Hand, die Florence – Thiess' blonde, amerikanischstämmige Ehefrau, die Sängerin, die auf den großen Bühnen in Hamburg, Berlin, Köln, Mailand zu Hause ist – an ihre Freundin Charlotte geschrieben hat.
    Und Florence füllt die Seiten des Briefpapiers, dieses hauchdünnen Briefpapiers, ganz wie Emilie mit ihrer großen, verschnörkelten, ausdrucksvollen Handschrift; füllt sie mit ihren Ausrufen, mit sich selbst – so geschehen am 27. Oktober 1932, als sie im Zug nach Stuttgart sitzt und ein Platzregen niedergeht, und bald, ja bald seien sie ja in Fulda, und sie, ja sie werde gleich in den Restaurantwagen gehen:

    »Liebe Loll, ich bin auf dem Weg zu Teddy, ich mach' mir Sorgen um ihn, er ist so heftig – Du weißt, was ich meine! Mit Charlott II hat er sich ausgesprochen, sie sind nur noch ›Freunde‹. Was soll das heißen? Was, bitte, soll das heißen?? Seine Erregtheit schmerzt mich, schmerzt mich, weil er sich so quält. Ich weiß, dass meine Freundschaft und meine Liebe gut für ihn sind, aber, meine Lott, ich bin ja selbst in Schwierigkeiten und schlage mich so durch – aber meine unerschöpfliche Energie wird seiner Entwicklung gut tun; zum Leben braucht er eine andere Frau.«

    Ach nein? Führen sie jetzt eine Liebesbeziehung, Stenbock alias Teddy und Frank Thiess' schöne Ehefrau? Hat der verlassene Graf nun seinerseits Charlott II verlassen und ist in die schönen weißen Arme von Florence gesunken? Und was deutet sie da an: »Er ist so heftig – Du weißt, was ich meine«. Die geballten Fäuste. Man denke: Alexander – Prügel – Romantik.
    Sie wirbeln vorbei, die Menschen aus ihrem »Kreis«; sind heute verblichen wie ein altmodisches Lesezeichen, deren Rückseite eine zunehmend vergilbte Farbe aufweist.
    Noch ist Florence guter Dinge – vom Zug aus wird sie direkt zu Alexanders Lesung gehen, Kuss, Kuss, Deine Flori …
    Am 11. Februar 1933 traf der letzte Brief (der erhalten geblieben ist) ein, der letzte Brief der Sängerin, die in einem Wanderbordell singt: »So – jetzt bist Du im Bilde. Unter den Menschen, die ins Bordell gehen, sind kluge und liebe Personen, aber trotzdem fällt es schwer, hier zu singen – nicht wahr?«

    Und jetzt scheint die Geschichte zwischen Florence und Teddy/Alexander vorbei zu sein – »hab kein Mitleid mit ihm«, warnt sie ihre Freundin. Denn jetzt ist Florence die
Adressatin seiner Klage, jetzt ist sie an der Reihe, sich seine bitteren Beschwerden anzuhören, dass er ohne sie nicht schreiben könne etc. etc. »Bald wird er gewiss eine Florence II haben«, hält sie verbittert fest – die sich wie wir alle abrackern wird, während er es im Laufe zweier Monaten geschafft hat, nicht auch nur einen Finger zu rühren – »liebste Freundin, ich bin so froh, dass es Dir jetzt wieder besser geht, das hast Du wirklich verdient, Du Arme.« Und doch: »Loll, ich hab' jeden Respekt vor Teddy verloren – und der ist nötig, sonst stirbt meine Liebe; wie weh das alles tut. Kein Mensch hat mich je so guter Dinge sein lassen wie Alexander – ja, warum erzähle ich Dir das überhaupt, Du hast das ja selbst durchgemacht!«
    Auch Frank Thiess hat die Schnauze voll – »von allem und jedem«, wie Florence weiter zu berichten weiß: »Man darf keinen von Euch auch nur erwähnen, er will kein Wort mehr von anderen hören – weder von meiner Mutter oder von Dir und Alexander. Er will Euch niemals wiedersehen.«
    So ging also ihr erster Berliner Freundeskreis in die Brüche, und die Freunde zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Er war zerbrochen an Politik und Liebe. Ein letzter Brief geht Charlotte von Frank Thiess zu – sie öffnet ihn, am 22. November 1932. Und liest diese letzten, endgültigen vier Worte: Es ist zu spät . Frank.
    Reginenstraße 14, Leipzig
    Man kann über Fritz sagen, was man will – das tue ich schließlich auch – aber klein bei gab er nicht. Sogar im Gefängnissumpf, im Zuchthaus von Radautz, bewahrte er sich seinen schon fast kindlichen Optimismus, seine ewigen Einfälle, seine abenteuerlichen Projekte. Auf aschgrauem Papier hielt er seine Gedanken darüber fest, wie es in Zukunft weitergehen könne: Vielleicht eine Anstellung bei der Fichtegesellschaft? Oder eine Stelle als Bibliothekar? Als Übersetzer?
Eine Weiterentwicklung der Einblattkataloge? Was könnte der Unterstützungsverein Deutscher Buchhändler und Buchhandlungsgehilfen für ihn tun? Ob sie, Lottie, Dr. Braun

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