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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Neumann.«

    Nein, ich muss aufhören. Ich kann dieses 30-seitige Protokoll nicht in seiner jämmerlichen Gänze wiedergeben. Es reicht, reicht zur Genüge. Das Ergebnis dieser Sitzung war, dass die Frage an die IKK , die Internationale Kontrollkom
mission der Komintern, verwiesen wurde und dass die Parteiversammlung eine Formulierung vorschlug: Sie würden bezweifeln, dass Genosse Kurella weiter für den »Apparat« tätig sein könne. Kurella genieße nicht ihr Vertrauen, er habe seine Fehler nicht richtig eingesehen. Hatte Stalin nicht gesagt, dass sich der Charakter eines Menschen darin äußere, mit wem er sich umgibt? Jetzt war der Stein ins Rollen gebracht.
    Golgatha
    Vor meinem Fenster zeigt sich der Herbst von seiner schönsten Seite – es ist Oktober, wie damals. Konnte sie aus dem Fenster ihres kleinen, gemütlichen Zimmers spähen und den klarblauen Himmel über der Stadt sehen? Was hat sie über diese albtraumhaften Abende gewusst? Ob er ihr davon erzählt hatte? Ist er zu ihr nach Hause gekommen und wortlos in ihre Arme gekrochen? Hat sie mit ihm und ihren einzigen Freunden, Grete und Heinz, zusammengesessen und versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren, eine Strategie zu entwickeln, versucht, diese »kalte Revolution« gründlich zu durchdringen und ihre eigene Rolle darin zu begreifen? Ringsum waren die Verhaftungen in vollem Gange. Nach Süßkinds Festnahme verschwand einer nach dem anderen. – Im Emigrantenhotel Ulitza Gorgogo wird des Nachts in den Fluren an die Türen geklopft. Geflüsterte Gespräche – hast du sie kürzlich besucht? Verflucht aber auch. –
    Es ist dieser Herbst, in dem Willi Münzenberg und Gretes Schwester Babette nach Moskau kamen – und wieder fuhren. Ich frage mich, was für ein Gefühl sie – Grete – verspürt haben mag, als sie ihrem Zug hinterhergewunken hat. Oder wie sie sich gefühlt haben mag, als Charlotte abreiste – vielleicht sogar mit Babette und Willi Münzenberg. Der Zug – da fuhr er. Davon. Heimwärts. Nach Paris!
    Es ist dieser Herbst, in dem Heini nicht nur um sein Leben
redet, sondern auch um sein Leben schreiben muss – an die Inquisition bei der IKK . Die Berichte und Selbstbekenntnisse, die aus seiner Feder stammen, folgen dicht aufeinander: Den 25. Oktober, den 14. November, den 14. Dezember, den 22. Dezember. Aber als ich sie genauer studiere, fällt mir auf, dass er nach wie vor niemand aus seinem Umfeld, keinen seiner Freunde in Moskau, ausliefert. Stattdessen erwähnt er flüchtige Bekanntschaften mit Personen, sogenannten Trotzkisten, in Zürich oder Prag. Seine Reuebekundung ist vom selben Stil wie bei den beschriebenen Sitzungen.

    Müller/Brückmann, der Verbindungsmann, ist hingegen nicht untätig. Anfang Dezember 1936 teilt er der Kontrollkommission vertraulich mit, dass Kurella behauptet habe, Neumann würde sehr isoliert leben, was so aber nicht stimmte; hier kämen jetzt also genaue Berichte, die Aufschluss darüber geben, wer sie im Lux besucht habe, weil für jeden Besuch im Hotel Passierscheine verlangt werden. So erfahren wir also, dass Heinz und Grete zwischen März und Oktober von insgesamt 24 Personen besucht wurden: Ihre Schwester Babette sei dreimal im Oktober da gewesen und – und da, da erwähnen sie sie, meine Mutter: Stenbock-Fermer (an dieser Schreibweise halten sie fest) – Kurellas Ehefrau – habe allein 18 Mal die Straße überquert, um sie zu besuchen …
    Der langen Rede kurzer Sinn: Kurella sei mit Neumann befreundet; er wisse mehr, als er zugebe. Und »mehr« – »mehr« steht für Namen. Noch nicht einmal in Hinblick auf Süßkind, so äußert sich Müller/Brückmann gereizt, habe er alle Personen angegeben, die er im Zusammenhang mit ihm getroffen habe. Und so wird Kurella erneut aufgefordert: Raus damit!
    Und so erhält der »werte Genosse« Genjondrik bei der IKK am 14. Dezember also ein Schreiben von Kurella. Dies wird darin gestanden haben:
    »Bitte sehr, folgende Personen habe ich bei Neumann gesehen, und ich habe nicht versucht, auch nur etwas davon vor der Partei zu verheimlichen: In Zürich hat Neumann häufig mich samt Frau getroffen, des weiteren Hans Holm – manchmal nebst Gattin sowie Ernst Bloch mit Frau. In Moskau häufig diese: mich mit Frau, Hilde Duty, spanische Genossen, Genossin Martha u.a., gelegentlich Erna Holm.« Von irgendwem unterstrichen: »Einmal Hermann Remmele. Des weiteren Hermann Schubert, Kurt Sauerland, Moriens, Schüller, Betty Schönfeld, 3 Engländer aus der

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