Meine Mutter, die Gräfin
–, aber ich habe nicht auf ihn gehört – ach, ich habe einen der bittersten Parteifeinde geschützt –, glaubt ihr denn, dass ich den Mut gehabt hätte, euch das zu erzählen, wenn ich das bewusst – ja, absichtlich? – getan hätte – wo ich doch so stolz darauf bin, für die Weltrevolution, für die Komintern zu arbeiten – natürlich habe ich theoretisch von der Sache mit den Gestapoagenten und Doppelzünglern gewusst – aber dass sie sich in meiner Nähe befunden hatten? Wenn ihr in der Parteiversammlung nicht gewesen wärt, hätte ich mich vielleicht erneut übers Ohr hauen lassen – die Partei muss mir helfen – ich kann schließlich nicht versprechen, mich völlig zu ändern – ein anderer Mensch zu werden –, aber mithilfe meiner Genossen – aber ich kann nicht versprechen, dass ich geheilt bin – ich kann nicht von heute auf morgen behaupten, ein anderer Mensch geworden zu sein – denn das ist eine kleinbürgerliche Selbstgefällig
keit, der ich nicht Ausdruck verleihen kann – dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen – könnt ihr mir helfen? Ich sage: Ich habe meinen Fehler erkannt, habe erkannt, dass es wichtig ist, dass ich mich selber umbaue . Es ist kein Zufall, dass ich 1928 die falsche Wahl getroffen habe und 1936 von einem Feind getäuscht worden bin – das liegt irgendwie an meinem Charakter …«
Und dann fasst er die »Frage Kurella« selbst zusammen: »Was habe ich gemacht? Ich habe einen kleinen Teil der Partei einem Feind der Arbeiterklasse geöffnet – da, wo die Partei einen Wächter gebraucht hätte, da habe ich die Tür geöffnet. […] Ich muss das nicht nur einsehen, sondern ich muss mich so umändern, dass die Partei weiß, dort, wo der Kurella steht, ist alles gut, auf den Kurella kann man sich verlassen.«
Aber wie bei der ersten Anhörung ist das erst der Anfang. Jetzt folgen – wie ein ausdauernder Albtraum – aufs Neue Fragen zu ein und derselben Sache, Antworten zu ein und denselben Themen, immer und immer wieder. Welche Methoden Süßkind angewandt habe? Was für Lehren er daraus gezogen habe? Ob man Kurella vertrauen könne? Wie es um sein Verhältnis zu seinem Bruder Alfred bestellt sei, der 1935 in Ungnade gefallen sei und aus dem Lux habe ausziehen müssen? Was ist mit deinem Bruder? Sei es gut oder schlecht, dass Kurella feststelle, dass man sich nicht in erster Hinsicht um seinen Bruder, sondern auch um andere Genossen sorgen soll? Dass er ihn kontaktiert habe, sie aber nie über Politik gesprochen hätten, »zwischen uns gibt es eine Mauer, und ich habe nie versucht, über sie zu kommen« – ja, mein Bruder braucht Hilfe, aber nicht von mir.
Seine Worte, sein Wortschwall, aber prallen wie Hagelkörner an den anderen ab und spielen ihnen Material in die Hände, das das Mißtrauen wachsen lässt: Wie könne er erst
so einen Brief schreiben und danach freundschaftliche Kontakte zu Süßkind knüpfen – unbegreiflich –, er habe eine Rüge mit Verwarnung verdient, befindet Genosse Mehring. Auch Genosse Wooley sieht das kritisch – aus dem Kirowprozess habe er nicht das Geringste gelernt –, wie könnten sie Kurella da Vertrauen schenken? Er erwecke nur den Anschein des Naiven. Genosse Benes greift ihn aus einem ideologischen Blickwinkel an: Er verstehe nicht, dass seine Arbeit politisch sei, sondern betrachte sie als eine Art persönliche Angelegenheit. »Wir hatten schon früher Probleme mit seinem Mangel an Disziplin.« Genosse Friedrich ist ebenfalls der Meinung, dass der Genosse versuche, sich krampfhaft mittels politischer Formulierungen aus der Affäre zu ziehen, und dann ist Genosse Mehring wieder zur Stelle – Mehring, der später selbst zum Opfer wird – womöglich ahnt er das schon und verhält sich deshalb so, wie es zuvor Kurella getan hat – er lenkt den Blick auf jemand anderen: Heinz Neumann. Diese verhasste Person. Sie würden Kurellas Versuch durchschauen, Neumann die Ehre zuteil werden zu lassen, Süßkind durchschaut zu haben, als dieser versucht habe, seinen Freund davor zu warnen, die Freundschaft wieder aufzunehmen, und Genosse Remmele – der auch bald vor dieses Tribunal gestellt werden wird und der einst Neumanns Waffenbruder im Kampf gewesen war – verrät seinerseits seinen alten Freund: Er habe mit Neumann sofort nach dem Prozess gebrochen, das hätte Kurella auch tun sollen. Doch da, inmitten dieser Inquisition, beweist der blasse Heini Mut: »Ich habe einen engen Freund hier in Moskau, und das ist Heinz
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