Meine Mutter, die Gräfin
Lenin-Schule. Einmal: Knoth, Gyptner, Mehring, Rugalla, Münzenberg, Babette Gross, Osrin, Ida Osrin.«
Dabei handelte es sich wohl um Charlottes und Heinis Bekanntenkreis. Charlottes Freundinnen: Erna Holm, die ihr geholfen hat, den Brief zu schreiben, als sie im Herbst 1934 in Moskau angekommen war; Betty Schönfeld, Ida Osrin und Hilde Duty. Ebenfalls darunter sind die Engländer, die ihr beim Erlernen der Sprache geholfen und ihr womöglich Bücher geliehen haben.
Zwei Tage vor Weihnachten liefert Kurella, erneut auf Aufforderung, einen langen Bericht über seinen und Neumanns Umgang ab und gibt Auskunft, worüber sie gesprochen haben; dass Neumann sich über seine Position beklagt habe, dass er nicht für die politische Arbeit herangezogen werden würde, über die Lage der Partei: »Der Ton dieser Unterhaltungen war offensichtlich von einem gewissen Stolz Neumanns getragen, dass die Partei, in der er eine Weile eine verantwortliche Arbeit leistete, eine so glänzende Entwicklung genommen hat.«
Sie hätten über die Volksfrontpolitik und die Lage in Deutschland geredet, über Süßkind – und darüber, was Stalin über alte Sünder gesagt habe. Und dann nennt er weitere Namen, Personen, die er bei Neumann gesehen hat: Lieschen
Hanns, Sender Garlin, Ester Young, Stamberger, Meyer. Ich weiß nicht genau, weshalb ich sie hier so penibel aufzähle. Vielleicht um ihnen Respekt zu zollen, eine Art pathetische Geste – um diesen seit ewigen Zeiten Verstorbenen zumindest so etwas wie ein Denkmal zu setzen. Ich weiß es nicht.
Dann kam der Brief, den er zuletzt an die IKK schreiben musste, jener Brief, in dem er seine schützende Hand von Neumann nimmt. Am 2. Januar 1937 verfasste er das Schreiben – wenige Wochen vor Beginn des 2. Moskauer Schauprozesses gegen Radek, Sokolnikow u.a., die allesamt alte Kampfgefährten waren.
Aber er schenkt seinem einzigen Freund keinen Judaskuss. Nicht ein Mal schimpft er Neumann einen Trotzkisten, Faschisten oder einen Verräter, nicht ein Mal. Erstaunt lese ich wieder und wieder diese Stelle: Ja, Neumanns Verbrechen – das Kurella misstrauisch werden ließ und worüber er jetzt den Genossen berichtet – bestehe darin, dass er die Ehefrau seines alten Freundes Lominadse getroffen habe, die persona non grata gewesen sei, dass er der gewissen Ansicht gewesen sei, dass Pieck und nicht Ulbricht die Partei leiten sollte, dass ihn die Volksfrontpolitik glücklich gemacht habe und dass er darauf gewartet habe, dass Thälmann, der Vorsitzende der KPD , der in einem deutschen Gefängnis saß, rehabilitiert werde, sodass auch er, Neumann, wieder in Gnaden in die Partei aufgenommen werden könne.
Und so weiter. Kurella scheint der IKK ein glaubwürdiges und wahrheitsgetreues Bild von seinem Freund und dessen Gedankengängen vermittelt zu haben, die Neumann natürlich hatten vorgehalten werden können – aber seine Schilderung enthielt nichts über Trotzkismus etc. – absolut nichts. Kurella betont, dass Neumann die Partei so gut wie nie kritisiert habe und vor allem niemals die russische: »Neumann hatte die Angewohnheit, ab und zu zu unterstreichen, dass
er nie und niemals in irgendwelcher Frage in Opposition zur WKP [die kommunistische Allunion-Partei der Sowjetunion] und insbesondere gegen Stalin gestanden habe.«
Er hatte ihnen ein fades Süppchen serviert. Hatte ein paar Namen unerwähnt gelassen. Und Selbstkritik hatte er zudem geäußert – unterschwellige, konstruierte, gekünstelte vermutlich: Ich habe diese Fakten der Partei nicht verschwiegen. Man kann mich aber bezichtigen, nicht die richtige Form gefunden zu haben, um dies zu vermitteln, und was noch schlimmer wiegt, ist, dass ich, als ich an Neumanns politischer Haltung zur Partei zu zweifeln begonnen habe, nicht einfach nur geschwiegen habe.
»Ich glaubte auch dadurch, dass ich die Partei unterrichtete, gewissermaßen einen Freibrief zu haben, der es mir erlaubte, weiter anzunehmen, dass Neumann ›in der Hauptsache‹ ein der Partei treu ergebener Genosse ist. Ich bin mir jetzt darüber klar, dass es nicht genügt, der Partei von den Zweifeln Mitteilung zu machen und vor allem von den Tatsachen, auf denen diese Zweifel beruhen, um sich dadurch der Partei gegenüber zu amnestieren, sondern selber die Schlussfolgerungen aus der Gesamtheit dieser Tatsachen zu ziehen und entsprechend zu handeln. Ich teile dazu mit, dass ich am 31. XII . 36 mit Neumann den Verkehr abgebrochen habe.
Mit kommunistischem Gruß
HK
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