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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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begann ich, nervös zu werden.
     In Kürze würde der Paß abgelaufen sein, und auch das Geld nahm rapide ab. Am zehnten Tag ergriff mich Panik. An wen sollte ich mich wenden in dieser fremden Stadt?! In meiner Not erinnerte ich mich, daß mir vor Jahren Alexander […] von Verwandten in Lettland erzählt hatte. Vielleicht gab es auch welche in Libau. Ich suchte im Telefonbuch, und siehe da, es gab gleich mehrere Stenbock-Fermors. Kurz entschlossen wählte ich eine der Nummern, rief an und meldete mich als Frau des Grafen Alexander Stenbock-Fermor, die auf der Durchreise in Libau sei. Die unbekannten ›Verwandten‹ waren entzückt, luden mich sofort ein und versicherten mir, wie glücklich sie seien, mich kennenzulernen. Aber was sollte ich ihnen erzählen? Wie meinen Aufenthalt in Libau erklären? Ich entschied mich für die Rührgeschichte der treulosen, aber ins Unglück geratenen Ehebrecherin, die von ihrem Geliebten nach Moskau verschleppt worden war und nun mit Hilfe der Deutschen Botschaft … Na, du weißt schon … Man glaubte mir jedes Wort. Als ich so nebenbei den abgelaufenen Paß erwähnte, wußte man sofort Rat, denn die Stenbocks waren gut befreundet mit dem deutschen Konsul in Libau. Er verlängerte ohne Zögern den Paß um weitere 14 Tage und gab mir Geld für die Weiterreise. Zwei
Tage später konnte das Schiff seine Fahrt antreten. Der Eisbrecher hatte die Rinne geöffnet.«

    »Und in Kopenhagen […] bist du dann gleich abgesprungen?« Es ist Grete, die diese Frage stellt.
    »Da kennst du mich schlecht« – es ist meine Mutter, die antwortet. Voller Schuldbewußtsein.
    »Ihr hättet das getan. Doch ich schwankes Blatt …«
    Nein, sie sprang nicht ab. Sie ging in das Hotel, das ihr Auftraggeber in Moskau ihr genannt hatte, und wartete darauf, dass jemand Kontakt zu ihr aufnahm.
    »Aber weshalb denn nur? Du wolltest doch abspringen?«
    »Wollte ich es wirklich? Irgendwie fürchtete ich, wenn ich das täte, Heinrich für immer zu verlieren und vielleicht auch etwas Schändliches zu begehen, etwas, das den Nazis nützen könnte oder den, wenn du willst, den ›Klassenfeinden‹.«
    »Aber Charlotte! Solche Überlegungen nach allem, was du in Moskau gesehen und gehört hast?!«
    »Sei nicht so streng mit mir. Was wußte ich schon, ich ›Bourguika‹, die doch eigentlich gar nicht zu euch gehörte! Und dann mußt du auch bedenken, daß Heinrich, als ich wegfuhr, noch in der Komintern arbeitete. Er war ein Kommunist, zwar kritisch, oder, wenn du willst, oppositionell, doch nach wie vor war für ihn Sowjetrußland die einzige Kraft gegen den Faschismus. Was Heinz und du damals wirklich dachten, habt ihr mir nie verraten. Letzten Endes hieltet ihr mich für unzuverlässig.«
    »Das nicht […]«, protestierte Grete. »Aber wir wollten dich nicht belasten.«
    Aber Charlotte hört ihr kaum zu, sie fährt fort:
    »Und dann dachte ich auch, daß die Verhaftungen und die Schauprozesse … verzeih mir … daß die Angeklagten doch schuldig seien. Nur eines wußte ich, Heinrich war unschuldig …«
    »Ach, Charlotte, er war genauso unschuldig wie Millionen andere, die in den Lagern umkamen.«
    »Ja, du weißt das, weil du es selbst erlebt hast. Aber ich, ausgerechnet ich kam ungeschoren davon. Bitte, verurteile mich nicht, hab Verständnis für meine bodenlose Unwissenheit.«

    Da saß sie nun in Kopenhagen in besagtem Hotel – wenn auch beinahe zwei Wochen zu spät – und wartete und wartete. Und nichts passierte. Niemand kam. Auch keine neuen Befehle. Erst als das Geld wieder zur Neige ging und der Pass ablief, entschied sie sich, selbst tätig zu werden. Aber wohin, ja wohin konnte sie sich in dieser friedlichen kleinen Stadt wenden? Das einzige, was ihr in den Sinn kam, war, zur Emigrationsleitung der KPD Kontakt aufzunehmen und sich dort zu melden. Aber wie konnte sie die Genossen finden? Wohl kaum im Telefonbuch.
    Wenn es so ist wie in Zürich, dachte sie, dann sitzen sie in den Cafés. So wie wir es auch gemacht haben. Also suchte sie in der dänischen Hauptstadt nach deutschen Kommunisten im Exil, ging von einem Café zum nächsten und studierte die Klientel. Und wurde schon am ersten Tag fündig. In der Ecke eines Cafés saßen sie. Ihr Deutsch klang so schön; Rauch stieg auf. Da, Genossen ! Und mit federnden Schritten ging sie auf sie zu, wendete sich an einen von ihnen und fragte: Darf ich Sie einen Augenblick sprechen? Sie setzten sich an einen Nebentisch, und sie erzählte alles:

    »[…]

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