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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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angefleht herauszukommen, weil sie befürchtete, er könne sich etwas antun. Man musste etwas unternehmen. Da Sven Backlund, der idealistische Sozialdemokrat, gut mit seinem Vater Gunnar Hirdman befreundet war, der wiederum beim ABF , dem schwedischen Arbeiter-Bildungsverband, als Volksbildungslehrer arbeitete, wurde Einar nach Pontigny geschickt, um an der École de culture française teilzunehmen und Französisch zu lernen.
    Sie dachte, sein Name würde »Ejnar« geschrieben werden. Im Januar 1939 gibt sie ihm eine »Stunde«, dem missmutigen, gutaussehenden jungen Mann mit den blonden Haaren, der irgendwie an ihr Herz rührte, so wie einst Heini – beide waren junge, schwache und sich sehr ähnelnde Männer.
    Und weil es um meine Mutter und meinen Vater geht, will ich nicht mehr erzählen. Will nicht über das Auf und Ab, das Glück und die Tränen dieses ganzen Frühjahrs erzählen, denn es kam, wie es kommen musste. Er hieß Einar Hird
man und war zehn Jahre jünger als sie, was wir Kinder alle wussten, war doch dieser sagenhafte Altersunterschied von Anfang an wie in uns eingebrannt, wenngleich sie so taten, als würde es sie überhaupt nicht scheren, weshalb wir uns auch nicht darum scherten. Aber natürlich kann man in meinem Tagebuch lesen, dass meine Mutter zehn Jahre älter als Papa war, und insgeheim verspürten wir – oder zumindest ich – immerzu eine unterschwellige Angst, wie das werden sollte, wenn sie alt würden. Richtig alt.
    Denn jetzt, ja, jetzt wird sie wieder schwanger – jetzt – beim vierten Mal – gilt's. Nun, sie macht schon wieder ein wenig Anstalten …: Ob Peters Arzt nicht vielleicht behilflich sein könnte … »Dann tue ich es noch mal, auch wenn das verabscheuungswürdig ist. Aber was soll ich machen?« ( auch wenn das verabscheuungswürdig ist – das sind die einzigen Worte, die in irgendeiner Form andeuten, was im Winter 1935 in Moskau geschehen ist. Daran wird sie doch bestimmt gedacht haben?)
    Aber neben ihr ist ein Engel in Erscheinung getreten: Und dieser Engel ist Gabbi Sømme – eine leidenschaftliche, sozialistische, eifrige junge Norwegerin. Eine Frau, die Sven Backlund begleitet, als dieser die in der Nähe einquartierten spanischen Flüchtlinge besucht, eine Frau, die ständig versucht, ihnen beizustehen, zu helfen, sich um sie zu kümmern – um das Leid zu lindern, um zu trösten. Und Gabbi möchte nicht, dass sie abtreibt, Gabbi überredet sie – trotz aller Schwierigkeiten –, dieses Kind zu behalten. Obwohl dieser junge Schwede so blutjung ist! So mittellos! So verzogen! So ungesellig! So schwach – und so bezaubernd, ja so erstaunlich …
    Obwohl es jetzt ernst wird – jetzt muss sie Frankreich verlassen, jetzt wird ein Flüchtling ohne Land aus ihr. Jetzt verschärft sich die Haltung gegenüber den »Gestrandeten«. Und jetzt bekommt sie auch einen Anruf von Etienne – wer
immer das sein mag –, der ihr mitteilt, dass sie Peter (wer immer das sein mag) als angeblichen Gestapoagenten ausgewiesen hätten; er sei schon auf dem Weg nach Stockholm. Das ist auch der Tag, an dem sich das deutsche Ehepaar Kluge verzweifelt darum bemüht, bleiben zu dürfen, das ist auch der Tag – der 23. April –, an dem die Polizei kommt und ihr den Ausweisungsbescheid vorlegt. An dem nicht zu rütteln ist, auch wenn Madame Desjardins mehrfach selbst nach Auxerre fährt, um die Präfektur zum Einlenken zu bewegen. Der kleine Aufschub, der ihr gewährt wird, währt nur bis Juli 1939. Ihr bleibt nichts anderes übrig.
    Während also das kleine Menschlein in ihr heranwächst – und sie sich trotz allem, ja trotz allem eines Freudengefühls nicht erwehren kann – und sie die spanischen Brigadisten unterrichtet, Einakter von Brecht spielt, mit Backlund über dessen naive Einstellung diskutiert – wie, bitteschön, kann man jetzt, in diesen Zeiten, nur »sozialen Frieden« predigen? – und als die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens Francos Sieg anerkennen, als die Kriegsangst wächst, verschlechtert sich ihre Lage dramatisch. Kein Geld. Kein Land. Und keinen Mann?
    Denn der junge Schwede verzweifelt in regelmäßigen Abständen, schmollt – wie sie resigniert in ihr Tagebuch notiert, er schläft wie ein erschöpftes Kind, sagt seine Meinung, heult – sollte sein Leben jetzt so aussehen? Mit gerade mal 23 Jahren heiraten und eine Familie versorgen müssen? Er?! Wo er doch insgeheim ganz andere Träume von Ruhm und Erfolg träumt? (glaube ich). Wo sie sich doch

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