Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
Vom Netzwerk:
auch nicht an ihn binden möchte – er ist zu jung, sie will ihn nicht hindern, will selbst auch kein Leben, in dem sie von anderen abhängig ist, ihre Freiheit aufgeben muss – was, ja was wird dann aus ihrem bunten, wilden Leben, und das Rauchen – das müsse man doch dann bestimmt auch aufgeben?
    Und wieder sehe ich Gabbi dastehen, wie sie im schönen
Pontigny zu den beiden hingeht, mit ihnen redet, sie aufmuntert, und ob das ginge – natürlich könne das funktionieren, natürlich werdet ihr heiraten – ihr liebt euch doch – ein Kind ist ein Geschenk – sie lieben sich doch – da dürfen der Altersunterschied und andere Dinge doch kein Hinderungsgrund sein, auch die Erinnerung an Heini nicht. Sie werde ihnen helfen.
    Emilies Tod
    Sie hatte noch nicht einmal mehr Eltern. Am 6. August 1938 war Papa Fritz gestorben; an Krebs, glaube ich. Doch ihre Sorge gilt auch da vor allem ihrer Mutter: »Er hat sehr gelitten, und für Mama muss es furchtbar gewesen sein« – ob sie ihre Mutter jetzt nicht zu sich holen könne? Ihre geliebte, kleine Mama? Sich um sie kümmern, denn jetzt ist sie »frei« … Kindsträume – denn Emilie ging es immer schlechter. Es war der Magen, der ihr ja schon lange Scherereien gemacht hatte, sodass sie nach dem Weihnachtsfest ins St. Georgs-Hospital in Leipzig eingeliefert wurde – es war Krebs, wie man dazu sagt, Cancer. »Leider habe ich recht behalten«, schreibt sie, »habe haufenweise Geschwülste in den Harnwegen und im Magen« – was weitere Operationen bedeutet. »Ich bin nahezu am Verzweifeln. Mais tout passe .«
    Nein, sollte sie sich später verbessern – sie werde vielmehr versuchen, ihr Leben so gut wie möglich zu leben und sich keine unnötigen Sorgen zu machen …
    Da liegt sie. Weißhaarig. Schreibt ellenlange Briefe an ihre Tochter im Exil. Schreibt über ihr Leben, während sie zugleich vom Krankenhausleben umgeben ist – es riecht nach Äther, dort liegen kleine, dahinsiechende Kinder, um die sie sich kümmert, weil sie nicht anders kann, und die »ganz entsetzt darüber sind, mich schreiben zu sehen« – und noch dazu auf Französisch! Was schreibst Du, Oma ?, fragen sie. Ihrem Stil ist schwer zu folgen, sie springt von einem Gedan
ken zum nächsten, weit zurückliegende Gedanken: Ihr schönes Haar, ihre Möbel in Oxford. Die Kosaken im Krieg, der »Große«. Die Schneewehen in Radautz, Ottos kleine Hand. Seine Finger, die sie wieder zusammensetzte. Ihr Fritz – tot. Ihr Otto – tot. Ihre Lottie in einem fremden Land. Ihre Leni mager und kränklich. Emilie ist 56 Jahre alt.
    Sie starb in der Nacht vom 14. auf den 15. März 1939. »Ich kann nicht mehr weinen, bin wie taub«, notiert ihre älteste Tochter Charlotte in ihr kleines, weinrotes Tagebuch – und Leni, Leni? Für sie muss das ja ganz furchtbar sein, denkt ihre große Schwester, die immerhin jemanden hat, der sie in den Arm nehmen kann. Aber ein einziger kleiner Hoffnungsschimmer dringt durch den schier überwältigenden Kummer dieses kalten Frühjahrs: »Mama hat, ohne die Tatsachen zu kennen, noch von dem Baby gesprochen. Sie muss etwas gespürt haben. Ich bin so froh darüber, und wenn es keinen Krieg gibt, wird auch alles gut werden.«

    » Make the best of it «, dringt ihr Flüstern an mein Ohr. » Make the best of it. «

    Charlotte Hirdman, Dolmetscherin.

Kapitel 9
    Frau Hirdman
    Stavanger/Orre – Stockholm 1939-1966
    Winter 1947. Eine Gruppe ehemaliger KZ -Häftlinge drängelt sich auf dem Flur vor einem Unterrichtsraum im Haus des Arbeiter-Bildungsverbandes in Stockholm an der Kreuzung Vasagatan/Bryggargatan. Sie wurden in das friedliche Schweden eingeladen, in dieses unberührte Land, dessen Straßenbild keine zerbombten Städte, keine Flüchtlingskarren, keine allgegenwärtige Armut zeigt. Sie wollen Schwedisch lernen und warten auf ihre Lehrerin. Und da kommt sie – gekleidet in ein adrettes Kostüm, die Aktentasche unter den Arm geklemmt, fährt sie sich über ihr dunkles, kurzgeschnittenes Haar. In dem Moment sehen sie sich: »Sie weicht zurück, preßt die Hand aufs Herz, und dann kommt der erlösende Schrei: ›Was! Du lebst noch!‹ Wir fallen uns in die Arme.«
    Zehn Jahre nachdem sie sich in Moskau Lebewohl gesagt hatten, zehn Jahre nach jener letzten Nacht im Sojusnaja sehen sie sich wieder – Charlotte und Grete. Margarete Buber-Neumann, die im Sommer 1938 verhaftet worden war, etwas über ein Jahr nachdem sie Heinz abgeholt hatten – ein qualvolles Jahr ohne Arbeit,

Weitere Kostenlose Bücher