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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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scheint es laut Emilies Schilderungen tatsächlich gewesen zu sein: »Das Schloss Ratshof wurde mir und dem Verwalter in Obhut gegeben. Eine spannende Zeit nahm ihren Anfang.«
    Fritz zufolge wurde das Schloss darüber hinaus von einem baltischen Schutzkorps aus Studenten verteidigt. Da sitzen sie nun, die Studenten, rotten sich drei Monate Abend auf Abend im Verwalterhaus zusammen und leeren eine Weinflasche nach der anderen aus dem Liphart'schen Weinkeller – und haben es eigentlich ziemlich gemütlich. Und Emilie schleicht sich zum Verwalterhaus, und Fritz, ja Fritz geleitet sie danach beschützend nach Hause zum Schloss. Zweifellos eine romantische Verlobungszeit.

    Man stelle sich bloß vor: Da sitzt er nun sechsundzwanzig Jahre später im Gefängnis und beschreibt, dichtgedrängt, die Rückseiten der Bestellformulare, schildert, wie er Abend auf Abend den Gefahren trotzt, um seine junge Zukünftige gegen die revolutionären Horden zu beschützen, während es zur selben Zeit doch Emilie ist, die in Wirklichkeit die ganze Last trägt; Emilie, die ihn – wie er da gedemütigt einsitzt – mit Essen versorgt, die durch den Schnee stapft und große Umwege in Kauf nimmt, um den Blicken der Gesellschaft zu entgehen, während er also zu Papier bringt, wie er sie beschützt. Wie mutig er ist. Wie er mit den anderen dafür sorgt, dass das Schloss nicht angezündet wird.

    Es herrscht absolut kein Zweifel darüber, wessen Partei sie in diesem Konflikt ergreifen – ihr Herz schlägt für die Deutsch-
Balten und die russische Oberschicht. Kein Wunder, dass Fritz später die Wahl des Ehemanns seiner Tochter – den Grafen Alexander Stenbock-Fermor aus Riga – rühmen wird.
    Fritz gründete sogar unter anderem mit solch feinen Leuten wie Charly Wahl, einem russischen Grafen und dem Autor und Übersetzer Korfiz Holm die kleine Zeitschrift Deutsches Echo . Das verleiht ihm, diesem Deutschen, zweifelsohne Profil, der – wie Emilie festgehalten hat – immer alles in großem Stil machen musste und sogar nach Deutschland fuhr, um Prinz Bülow seine Idee vorzustellen (»Du weißt ja, dass Dein Vater nie zauderte«) und ihn um Druckmaschinen zu bitten. Es sollte jedoch nicht sein, woraufhin das Deutsche Echo pleiteging. Das kleine Erbe, das Fritz besessen hatte und das in die Zeitschrift geflossen war, war dahin. Was blieb, war die kleine Familie, der schon bald von den »Autoritäten« nahegelegt wurde, dass sie klug daran täten, das Land zu verlassen. Warum wohl? Zu viel Gemauschel mit den Deutschen?
    Wieder eines dieser Ereignisse, von denen es in dieser Geschichte nur so wimmelt: Eine geringfügige Verschiebung in die eine oder die andere Richtung nur, und ich würde hier nicht sitzen. Was, wenn sie in Dorpat geblieben wären? Und aus meiner Mutter, die dort im September 1906 geboren wurde, nach dem Ersten Weltkrieg vielleicht eine estnische Nationalistin geworden wäre? Die während des Zweiten Weltkrieges von den Russen deportiert worden wäre? Oder ein ruhigeres, wenngleich ein in historischer Hinsicht umso qualvolleres Leben als, tja – Sprachlehrerin geführt hätte? Wie ihre Mutter? Einen estnischen Beamten geheiratet hätte? Ihm vier Kinder geboren hätte? Und dann nach Schweden gegangen wäre?
    Mesalliance?
    Ja, sie wurde am 20. September um Viertel vor elf abends in Dorpat geboren. Die eine Seite des Taufscheins ist in estnischer Sprache, die andere auf Deutsch verfasst. Am 5. November wurde sie auf den Namen Marie Ida Käthe Charlotte Schledt getauft. Als Paten waren Charly Wahl, Fritz' Freund, sowie die guten Feen, die Charlotte ihre Namen schenkten, eingetragen – Emilies Freundinnen vom Ratshof: Käthe Mahr und Ida Krümpel – wahrscheinlich ebenfalls Gouvernanten – und darüber hinaus noch Emilies Schwester Charlotte, die zur Taufe aus Holland angereist kam.

    Als ich noch klein war und meine Mutter mir irgendwann einmal von ihren Eltern erzählte, hat sie gesagt, dass die Ehe eine »Mesalliance« gewesen sei – jedenfalls habe ich es so im Kopf behalten: Die Französin heiratet ausgerechnet einen Deutschen. Ich habe das immer so interpretiert, dass es Emilies Eltern waren, die danach mit ihrer Tochter nichts mehr zu tun haben wollten – und das alles wegen der Verbitterung, die sie nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 gegenüber den Deutschen hegten: Du nimmst einen Deutschen zum Mann? Dann bist du nicht länger unsere Tochter!
    Aber immerhin kam Emilies Schwester Charlotte zur Taufe. Aha,

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