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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Philosophie aus:

    »Eine Buchhandlung darf nicht zu groß werden, dann wird sie zu einem Kaufmannsladen, der Bücher verkauft, und verliert damit das Wertvolle, das sie von den Kaufleuten und den Gewerbetreibenden unterscheidet. Eine Buchhandlung muss ein Ort sein, an dem die Beratung an ers
ter Stelle steht – das ist ihre eigentliche und vornehmste Aufgabe. […] Und wie interessant, wie ungeheuer lehrreich ist es doch, zu beobachten, wie andere Menschen mit ihrem Wissen wachsen!«

    Gerührt erinnert er sich an die bettelarmen russischen Studenten, die sich von in Heringslake getunktem Brot ernährten, nur, um sich Bücher leisten zu können. Das war etwas anderes als das unbekümmerte Leben, das die deutschen und baltischen Studenten führten.
    Die Begegnung
    Na, da ist die Bühne ja endlich frei für die Begegnung zwischen der Schweizer Gouvernante vom Gut und dem deutschen Buchhändlergesellen aus dem kleinen Laden.
    Das ist die Stelle, denke ich: »Und da trat die Bekanntschaft in mein Leben, die mich wirklich aus meiner Umlaufbahn warf; die einen Wandel mit sich brachte, der mich vollständig aus den Kreisen riss, in denen ich mich so bewandert gefühlt hatte.«
    Doch nein. Es war nicht Emilie, die in sein Leben trat, sondern Charly Wahl. Der der Freund werden sollte, sein bester Freund, dem in Fritz' Memoiren jede Menge Platz eingeräumt wird. Charly Wahl war ein kleiner, dicker, meistens kurzatmiger und kurzsichtiger Lebenskünstler, der sich »allem, was echt und schön war« widmete. Er wohnte mit seiner Mutter Marie von Wahl in einem großen, schönen Herrenhaus mit prachtvollen Gartenanlagen, und die beiden – Charly und Fritz – sollten beste Freunde werden; schon bald konnten sie nicht mehr ohne einander sein.
    Erst danach kommt Emilie. Als er auf Seite 52 seiner handschriftlich verfassten Erinnerungen angelangt ist:

    »Ich schreibe diese Zeilen am Weihnachtsabend 1931, zu einer Zeit, in der die Welt jeglicher Freude beraubt ist und Not, Armut und Verzweiflung die Bevölkerung in allen Ländern in Verzweiflung stürzen, wo sich kein Hoffnungsstrahl zeigt, der Besserung gelobt, und alle in stummer Erwartung einer ungewissen Zukunft harren. Und in diese graue Resignation hinein erklingt plötzlich aus der Ferne der Erinnerung – wie ein Glöckchen, das den erwartungsvollen Kindern signalisiert, dass sich die Türen zur Bescherung öffnen – ein sprudelndes, glockenhelles, nicht enden wollendes Mädchenlachen.«

    Und dabei handelt es sich selbstverständlich um Emilies Lachen, das er sich in seiner Misere ins Gedächtnis zu rufen versucht. Ein tapferes , befreiendes Lachen, und »sie, die so lachen konnte, hat diese Tapferkeit und diesen Freiheitsdrang bis zum heutigen Tage immer wieder bei unzähligen Anlässen unter Beweis gestellt«, hält er auf der Rückseite des zweiundfünfzigsten Bestellformulars fest. Papier, das fast zerfällt.

    Nun war Fritz jedoch ein Märchenerzähler. Ein Märchenonkel und Buchhändler, der Märchenspiele inszenierte – was letztlich auch zu seinem Scheitern führen wird, wie wir sehen werden. Und deshalb klingt es, als er von Emilies Lachen und ihrer ersten Begegnung erzählt, fast so wie im Märchen von Aschenputtel.
    Kommt da nicht eines Tages eine Kutsche angefahren, natürlich mit einem Diener in Livree, die vor der Buchhandlung hält und aus der ein zierliches Wesen steigt? Sie schwebt die kleine Treppe zur Buchhandlung empor, und da, ja da lüftet sie ihren Schleier und offenbart ihr holdes, anmutiges Gesicht, sodass er wie vom Blitz getroffen stehen bleibt. Er versucht sich zu sammeln, ja, ersinnt ein Gesprächsthema, damit sie nicht gleich wieder entschwindet. Nach einer
Weile findet er endlich eines, das ihr behagt: Nun, es sei ja schließlich allgemein bekannt, dass die Damen schneller als die Herren erblühten, während diese im Alter besser aussähen – na, Fritz, wenn das kein Gesprächsthema war! –, und just in dem Moment, ja just als die junge Dame auflacht, kommt sein Freund, der dicke, schnaufende Charly zur Tür herein, sodass Fritz von seiner These abgelenkt wird, und – mir nichts, dir nichts – ist die reizende junge Dame plötzlich verschwunden. Ja, wer um alles in der Welt ist denn diese zauberhafte Person gewesen?, fragt sich Fritz.
    Und wie der Prinz aus dem Märchen sucht er nach der geheimnisvollen Frau, wirft einen Blick in vorbeifahrende Kutschen, läuft ihnen hinterher, wird aber unablässig enttäuscht. Es dauert ein paar

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