Meine Mutter, die Gräfin
denk ich so bei mir – die Schwestern halten also zusammen. Trotzen den Eltern. So wurde meine Mutter Charlotte also weder auf den Namen Johanna oder Carolina nach Fritz' Mutter und noch nicht einmal Cecilia Emma nach Emilies Mutter getauft.
Die Namen Marie und Charlotte findet man aber zu einem früheren Zeitpunkt in der »Mentor-Familientafel« – einem schwülstigen, abgegriffenen Stammbaum, anhand dessen man Fritz und Emilies Vorfahren bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen kann.
In Fritz' Memoiren findet sich ein kleiner Hinweis auf die
von meiner Mutter geäußerte Bemerkung, dass es sich um eine »Mesalliance« gehandelt habe. Emilie geht allerdings nirgendwo darauf ein. »Ihre Eltern«, so Fritz, »waren anfänglich nicht sonderlich von der Verbindung ihrer Tochter angetan.«
Emilie und Fritz als frisch Vermählte.
Denn Emilie wird von ihrer Familie gelöchert, was das denn überhaupt für einer sei, wie es mit seiner Arbeit stünde, ob er überhaupt Geld besitze und sich um sie kümmern könne und so weiter und so fort, bis Fritz wohl gekränkt einwandte, dass sie wahrlich nicht das Recht zu derartigen Fragen hätten. Aber es scheint sich vielmehr um zu jener Zeit übliche normale Erkundigungen gehandelt zu haben – und keine Katastrophe –, weshalb die Verbindung zwischen Emilie und ihrer geliebten (oder zumindest angebeteten) Mutter auch nicht gekappt wurde. Und als Fritz versuchte, in Deutschland Druckmaschinen aufzutreiben, unternahm er sogar einen kleinen Abstecher zu seinen Schwiegereltern in die Schweiz, um sich ihnen vorzustellen. Aber es stimmt, dass von den Eltern niemand zur Hochzeit erschienen ist – noch nicht einmal Fritz' ehrfurchtgebietende, in Hamburg wohnhafte Mutter Johanna. »Ach, wir zwei kleinen, in die Welt geworfenen, heimatlosen Menschenkinder!«, hält Fritz fest und tröstet sich damit, dass ja immerhin sein Freund
Charles und dessen Mutter da gewesen seien, sodass wenigstens sie sich der jungen Braut angenommen habe.
Mit ernstem Blick sehen sie in die Kamera des Fotografen C. Schulz in Jurjews Fotoatelier. Zwei gutaussehende, frisch verheiratete junge Menschen: Er groß und blond, das sich leicht lichtende Haar zur Seite gekämmt und den Schnurrbart, den geliebten Schnurrbart, dezent getrimmt. Sie zierlich, hübsch und schlank mit ihren schönen, schimmernden, kastanienbraunen Haaren, die sie auf dem Oberkopf zu einem weichen Knoten geschlungen hat. Haare, die er so liebte und später niedergeschlagen weiß werden sah. Ein Foto für die Redards in der Schweiz und für Mutter Schledt in Hamburg. Emilie sieht auf der Aufnahme noch sehr kindlich aus. Sie ist gerade erst dreiundzwanzig geworden.
Kleinbürger
Und was waren sie nun? Kleinbürger? Gewiss waren sie das: Es bestand kein Zweifel daran, dass das Leben nach bestimmten Codes gelebt werden sollte, die wir kleinbürgerlich nennen könnten, und da ging es natürlich ums traute Heim, um Möbel und Weingläser und Teller und Tafelsilber – um all die Dinge, die für das große Drama »Heim« sozusagen die Requisiten darstellten.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie perplex wir waren, als wir 1956 nach Malmberget in Lappland zogen, wo unsere Mutter zum ersten Mal in unserem Leben mehr Zeit zu Hause verbrachte und sie die pompöse Wohnung in dem inzwischen abgerissenen, an der Kreuzung von Kaptensvägen und Gällivarevägen gelegenen Lalanderhaus einrichtete. Wir bezogen dort eine ganze Etage; unser Vater war ja – Gott sei's gedankt! – Hochschullehrer und Studienrat. Na ja, was heißt schon pompös, aber sie hatte immerhin zwei Schlafzimmer, die in einer Flucht lagen, und einen offenen Kamin –
tja, und was soll ich sagen – hatte Mama nicht eines Tages mir nichts, dir nichts so eine raffinierte Gardinenaufhängung mit einer blauen Taftgardine zuunterst und irgendwelchen goldbrokatähnlichen darüber gezaubert? Vielleicht lag es an dem Goldblau oder schlicht und einfach daran, dass das Ganze einen so fremden, überladenen bürgerlichen Eindruck machte – jedenfalls bekamen Eili und ich wenig später den schweren blauen Stoff, um uns daraus weitschwingende blaue Röcke zu nähen. Wer weiß, welche Kindheitserinnerungen im Kopf unserer Mutter umhergespukt waren? Vielleicht gab es ja etwas an Malmberg, das sie an die kleine Stadt Radautz, in der sie aufgewachsen war, erinnerte?
Und um auf die Kleinbürger bzw. die Möbel zurückzukommen – auch als Emilie im Sterben liegt und für ihre älteste Tochter ihr
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