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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Spuren hinterlassen, hat sein Leben dokumentiert, lebt auch in den Geschichten anderer Männer fort, sie hingegen kommt in seinem Leben, in seiner Biografie, nur in Form von Bildfetzen und in einem Nebensatz vor, wie wir noch sehen werden.
    Ich weiß also, dass er nach Hamborn kam, wie er dort hauste (zu viert in derselben, übel riechenden Baracke), wie er arbeitete und was er sonntags tat (Nietzsche lesen), mit wem er sich unterhielt, worüber sie sich unterhielten, was er aß (gutes, kräftiges und reichliches Essen, das im Lohn inbegriffen war – wässrige Suppe ohne Fleisch, wenn gestreikt wurde –, der Kaffee wurde »Negerschweiß« genannt) und wie er die Begegnung mit den radikalen Bergarbeitern erlebte.
    Man höre nur:
    Da ist er also den ersten Tag fünfhundert Meter tief unter der Erde in der Grube, zwei Kilometer tief in einem Schacht und hat einen Franz, einen echten Proletarier, zugeteilt bekommen, der natürlich ein Kommunist ist, und jetzt – in der ersten, zehn Minuten währenden Rast – entspinnt sich folgendes Gespräch:

    »Bist wohl einer von der Schule?«
     »Ja, ich habe studiert.«
     »Da schmeckt dir das wohl bitter. Hier war auch so 'ne Marke, ein baltischer Baron – Student – hat's aber nicht lange ausgehalten.«
     »Ich bin auch Balte.«
     »Auch so'n Baron?«
     »Ja, so ungefähr: Graf!«
     Franz kratzte sich den Schädel:
     »Verflucht, verflucht! Ihr seid'n verfluchtes Gesoks! Hat man euch auch vor die Türe gesetzt?«
     »Ja, unser Gut wurde enteignet und wir mussten fliehen.«
     »Geschah euch ganz recht, ihr verdammten Hunde. Habt bisher immer das Volk ausgesogen, nun schmeißt es euch raus!«
     »›Das Volk‹ – wie du sagst – die Bauern haben wohl wenig Freude am neuen Zustand. Jeder Bauer hat ein so großes Stück Land erhalten, dass er es allein nicht bebauen kann, da er keine weiteren Hilfskräfte hat. Zwei Drittel des Landes liegen so brach. Früher konnte der Gutsbesitzer den Bauern unter die Arme greifen und sie unterstützen.«

    Alle hätten mehr davon, wenn es noch die großen Güter gäbe, fährt der junge Graf unerschrocken fort, und auch wenn
früher Not geherrscht habe, so sei es doch immer noch besser gewesen als heute, wo an allen Ecken und Rändern in Russland Bauernaufstände stattfänden – das sei doch Beweis genug, schließlich gelänge es der Sowjetregierung nur mit blutigem Terror, die Bauern in Schach zu halten. »Ach was«, entgegnet Franz, »'s ist ja alles gelogen, was du sagst. Du siehst die Sache eben so an, wie es dir als Junker paßt. Sie haben wohl schlimm unter euch gehaust? Aber da seid ihr selbst schuld, ihr dummen Luder; hättet ihr keinen Widerstand gegen das Volk geleistet, wäre euch kein Haar gekrümmt worden und die Sowjetregierung hätte euch in den Dienst des Volkes gestellt.« »Überlege doch, was du sprichst«, antwortet Alexander, »nimm mal an, dass zu dir Banditen in die Wohnung kommen und dir das letzte Zeug klauen wollen. Wirst du da dabei stehen, die Hände in den Taschen, zusehen und sagen: hier und da liegt noch was, vergeßt's ja nicht mitzunehmen? Oder würdest du nicht versuchen, die Bande dir vom Leib zu halten? Na genau dasselbe war es bei uns.«
    Und dann erzählt der junge Adelsmann dem alten Kommunisten im Grubenschacht in Hamborn, dass er mit erst sechzehn, siebzehn Jahren über ein Jahr in der Weißen Armee gegen die Roten gekämpft habe, wovon sich Franz aber nicht beeindrucken lässt, sondern im Gegenteil immer aufgebrachter wird:
    »Das ist nicht dasselbe, Gott verflucht noch mal!«, schreit er, »meine Klamotten, dieses bißchen Dreckzeug, das ich habe, mußte ich mir erschuften durch ganz verdammte Arbeit, jedes einzelne Stück, verstehst du? Und ihr? Eure Vorfahren haben das Land zusammengeraubt und gestohlen, ihr habt's geerbt und lebt nur von der Ausbeutung der Bauern, die nichts haben und bis zum Verrecken für euch schuften müssen. Das Land ist eben nicht euer rechtmäßiges Eigentum, es gehört allen Menschen, ihr habt's euch nur geschnappt. Nun holen die Bauern zurück, was ihnen gehört! Und so ma
chen wir es auch hier mit der ganzen Saubande von Kapitalisten, die uns von oben bis unten bescheißen! Die dummen Proletarier sind selbst schuld daran, wenn sie's sich gefallen lassen. Aber einmal kommt der Tag, da wird mit dem Gesoks aufgeräumt, und die Proleten arbeiten für sich und nicht mehr für die Ausbeuter. Rußland ist mit dem Beispiel voran gegangen: Da haben sie die

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