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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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vollen Touren. Was kann man da machen?! Wenn es gefährlich wird, schaltet es sich bei ihr selbsttätig auf Null ein!«
    Aber Wolf ist vollkommen unempfänglich für Ernas Verführungskünste, was Frank wie mit einer Kamera, die eine eine kleine pathetische Filmszene festhält, registriert:
    Alle zehn Jahre sei die Moral eine andere, sagt Erna abgeklärt, es komme auch gar nicht darauf an, dass man sich nach der herrschenden Moral richte, sondern nach der, welche man vor dem eigenen Gewissen rechtfertigen könne. Sie habe eine Freundin, fährt sie fort, die lebe, wie es ihr Spaß mache, und sei doch moralisch.
    Wolf antwortete: Mit demselben Recht könnte man sagen, es käme nicht darauf an, daß einer im Laufe gute Zeiten erziele, sondern nur, daß er laufe.
    Erna sagte: Nein, das sei nicht logisch.
    Wolf sagte: Er habe auch nicht logisch sein wollen.
    Erna sagte: Man müsse aber logisch sein.
    Wolf: »Auch in der Liebe?«
    Erna: »In der Liebe nicht.«
    Wolf: »Ich finde unser Gespräch dumm.«
    Erna: »Ich finde es interessant.«
    Wolf: »Sind Sie eigentlich Ihrem Mann treu?«
    Ernas hübsches Gesicht wurde dunkelrot, sie lachte auf. Wolf wartete nicht die Antwort ab, sondern fuhr fort: »Wir Schweizer lieben nämlich keine Umwege, darum frage ich so.«
    »Ich bin ihm natürlich vielleicht nicht treu, was man so treu nennt. Aber ich weiß nicht, ich meine: Treu bin ich ihm schon.«

    Schweigen. Dann redet Wolf weiter, augenscheinlich über ein anderes Thema: »Ich denke nach, wie man Ihre Gesäßmuskeln stärken kann. So, wie sie jetzt sind, können Sie es nicht lange auf dem Soziussitz Ihres Motorrads aushalten, das ist klar.« Wie das, fragt Erna ihn mit sachlichem Interesse, wie könne man sie denn kräftigen? »Indem man Sie überlegt!«, knallte er hinaus. Erna lacht etwas zu schrill auf, sodass Hans Wolf beiseite nimmt und äußert, dass er da wohl etwas zu weit gegangen sei. Wolf aber verteidigt sich und erwidert, dass es in solchem Fall nur zwei Wege gebe, die man gehen könne, und »den einen wünsche er nicht zu gehen, und den anderen habe er eben vorgeschlagen«.

    Was mag sie, Lottie/Dolly/Erna, von diesem Porträt ihrer selbst gehalten haben? Dass es zutraf? Konnte sie über ihn lachen, nachdem sie das Buch gelesen hatte? Hat sie ihn ein bisschen aufgezogen? Der Jargon, der Jargon – der leicht zynische, freche Jargon jener Tage. In Mode. Wie glatte, glänzende Haare und kurze Röcke. Einst so chic, so in. Ein bisschen muss man auch abkönnen! Ach was! Das Entscheidende, was Thiess damit sagen wollte, war vermutlich das, was unausgesprochen zwischen den Zeilen stand. Ja, was will er eigentlich damit sagen? Wie sie da leben – leichtlebig, flirtend, schwimmend, Spiele spielend, essend, sich verliebend – und zwar im Kontrast zu dem, was zwischen den Zeilen steht, was sich damals zu Entstehungszeiten des Buches natürlich sehr viel
leichter entschlüsseln ließ. Wie eine Blindenschrift, die sie deuten konnten: Eine Schrift, die von der heraufdämmernden braunen Gefahr erzählt. Vom Tanz am Rande des Vulkans.
    Wenn es so war, besaß das Buch, als es 1932 erschien, eine ganz andere, feinnervigere Botschaft als die, die wir heute daraus entnehmen würden. Ich vermag sie kaum zu deuten. Wir haben es mit einer jungen, fast am Hungertuch nagenden Schauspielerin und einem Kommunisten zu tun, die sehr sympathisch geschildert werden, und dann mit Erna, die Politik »rasend interessant« findet, und dann, ja dann erhaschen wir einen Widerschein jenes unruhigen Sommers im Jahr 1931, als zwei Polizisten vor dem Sitz der kommunistischen Parteizentrale am Bülowplatz erschossen wurden – weshalb der Baron und seine Frau zu Hans und Gertie geflüchtet sind und der Revolution harren, die da kommen soll. Sie haben in der Erharrung des Augenblicks sogar ihr Zimmer in Berlin aufgegeben, das in einer vornehmen Wohnung liegt, die baltischen Emigranten gehört – die Großfürstin Anastasia hat einst dort gewohnt, ebenso wie die Baroness Wrangel samt mehreren Geflüchteten der Weißen Armee. Sie mussten ihr Zimmer – das sie eigentlich heiß und innig lieben – und damit auch ihr unbeschwertes, bohemienartiges Leben, ihre unregelmäßigen Mahlzeiten, ihre Ausgehabende mit Theater-, Gesangs- und Tanzvorstellungen aufgeben und sich aus dem Staub machen. Sollte es nämlich eine von den Kommunisten angezettelte Revolution geben – und von etwas anderem konnte in diesem unruhigen Sommer wohl kaum die Rede sein –, würde

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