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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Eichhörnchen aus, findet Lottie. Aus ihnen sollen sehr gute Freunde werden. Der erste Brief von Thiess an Lottie – und Alexander – ist datiert auf den 23. Juni 1929, also auf ein Datum nur wenige Wochen nach ihrer Hochzeit. Und so mutet der Ton des mit Liebste Dolly überschriebenen Briefes an:

    »Liebste Dolly!
    Heute ist Johannisnacht. Das ist seit Sudermann etwas Erotisches, Wildes und Heidnisches. Hier geht es auch ein bisschen wild, heidnisch und erotisch zu, allerdings wird niemand mit mir den Abend verbringen, und falls doch, dann ist es jemand, der mir nicht passt. Sie und Alexander aber passen gut zusammen; wir wollen – wie es Alexander so glänzend gelingt – den Augenblick einfangen, carpe diem, uns ›der Gegenwart bedingungslos hingeben‹, wie er geschrieben hat, nur weiß ich nicht, ob ich nun ›bedingungslos‹ oder ‹hingeben‹ unterstreichen soll.
     Was? Alexander findet, dass Ihr Brief schamlos ist? Ich finde ihn ganz reizend, ein bisschen grausam natürlich, denn ein Fragezeichen statt eines Kusses ist immer grau
sam, und das umso mehr, wenn es nur auf dem Papier steht. Nur meine Liebe zu Alexander hindert mich daran, dieses papierne Fragezeichen in einen realen Gegenwert einzutauschen. Leben Sie wohl – ich hätte beinahe geschrieben Lieben Sie wohl (Fehlleistung!), also – leben Sie wohl, süß-salzige Dolly (das Salz kommt vom vielen Baden im Meer), räumen Sie mir einen Platz in einer Dachkammer in der Nähe Ihres Herzens ein und nehmen Sie ein respektvolles Küsschen auf den Ringfinger der rechten Hand entgegen. […]
    Ihr nettes Fränklein

    Lieber Alexander!
    Für Sie war nicht mehr Platz. Was? Nennen Sie jetzt meinen Brief an Dolly schamlos? Was soll man da machen! Wir sind ja Überbleibsel eines baltischen Geschlechts – sollen wir uns vielleicht duellieren? Aber jede Patrone kostet 20 Pfennig, und das ist viel zu teuer für Schriftsteller, die nur im Sommer leben und im Winter wie Krähen sind. Erklärung überflüssig.«

    Sie sind sehr enge Freunde, Alexander und Frank, haben sich schon während Alexanders Jenaer Zeit kennengelernt. Thiess war es auch, der ihm vorschlug, sein erstes Buch an den Engelhornverlag zu schicken. Beide sind fast wie Brüder. Thiess stammte wie Stenbock aus einem schwedisch-baltischen Geschlecht und wurde 1896 in Livland geboren, wuchs hingegen in Berlin auf und gehörte dem Bildungsbürgertum an. So promoviert er 1914 mit einer Abhandlung über Goethe. Und er wusste, was Krieg bedeutete; wie Stenbock auch, hat er ihn als einfacher Soldat in der deutschen Armee überlebt.
    Aber als nach dem Krieg alles zusammenbrach, wollte er Schauspieler werden. Danach wurde er Redakteur fürs Berliner Tageblatt und arbeitete als Dramaturg und Regisseur in Stuttgart, bis er anfing, Bücher zu schreiben, die ihm Best
sellererfolge bescherten und ihn zu einem der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Zwischenkriegszeit werden ließen. Und was schreibt er nun? Nun ja, so ein bisschen Seichtes, so Dinge, wie man sie heute im Internet finden würde. So ist der Mann für den Aphorismus »Pervers ist oft schon: was anderen missfällt …« bekannt. Die Verdammten heißt zum Beispiel einer seiner Romane, der 1922 erschienen ist und der von einer inzestuösen Geschwisterliebe handelt – einer Liebesgeschichte über ein Geschwisterpaar, bei dem der Bruder nach seiner Kindheit in den USA ins Baltikum zurückkehrt und sich ein Dreiecksdrama zwischen dem Bruder Axel, seiner Schwester Gertrud und dem ihr Aufwartungen machenden Kavalier Johannes entspinnt.
    Danach erschien sein Roman Angelika ten Swaart , ein Werk, das stark expressionistische Züge trägt, und als er die junge Gräfin Stenbock kennenlernt, hat er gerade eine Tetralogie mit dem Titel Jugend abgeschlossen, in der es um die sozialen und familiären (intimen?) Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg geht. Später, als das Leben nach 1933 eine unausweichlich politische Wende nahm, begab er sich in eine »Innere Emigration« und begann mit dem Schreiben historischer Romane. Und das mit großem Erfolg.
    Davor hat er allerdings noch einen kleinen, leichten Roman verfasst: Die Geschichte eines unruhigen Sommers . Sie handelt vom Sommer 1931 und erschien ein Jahr später. Und sie handelt ebenfalls von Dolly, wie Thiess Lottie aus irgendeinem Grund genannt hat.
    Erna
    In der Geschichte treffen wir auf das Paar Gertie und Hans (= Florence und Frank Thiess). Sie ist Sängerin und er ein Schriftsteller, der von

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