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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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gerade diese Wohnung aufgrund ihrer Lage »rasend« schlechte Karten haben.

    In Stenbocks Memoiren war jener Sommer einer der schönsten seines Lebens. Und Thiess, der sie eingeladen hätte (schreibt Stenbock), sei liebenswert, heiter, empfindsam
und oft ein einziges Nervenbündel gewesen, das in seiner politischen Auffassung mehr zum konservativ-liberalen Lager tendiert hätte. Ihre gemeinsame schwedisch-baltische Herkunft hätte sie ebenso wie die weißen Nächte, die herzliche Gastfreundschaft, der Humor zusammengeschweißt – »niemand konnte über meine Witze so lachen wie er« – und nicht zuletzt ihr geteilter Hass auf Hitler. Dass Stenbock das noch hinzufügt, beruht wahrscheinlich darauf, dass Frank Thiess – der die ganze Nazizeit über in Deutschland blieb – später der Mitläuferei beschuldigt wurde und sich dadurch verteidigte, dass er behauptete, in die »Innere Emigration« gegangen zu sein. Vermutlich ist Stenbocks spätes Zeugnis, das er zu Thiess' Hitlerhass abgibt, jedoch vielmehr ein Versuch, Thiess die tatsächliche wie freundschaftliche Schuld zu vergelten, in der er ihm gegenüber stand. Nein, er könne über seinen Freund nur Gutes sagen. Und jener Sommer war ein Leben in Stille, mit Schwimmen und Segeln, mit Tieren und Pflanzen, mit langen abendlichen Gesprächen vor dem Kamin. Und da, gibt Stenbock zu verstehen, da wurde über Politik gesprochen, da herrschte jene Unruhe, in dieser Geschichte über jenen Sommer.
    In Lotties Briefen an Emilie ist dieser Sommer – wie ein getrocknetes Kleeblatt – auch bewahrt geblieben: »Florence ist wahnsinnig nett und kümmert sich wie eine Mutter um mich – ich habe 10 Pfund zugenommen. Wir haben es wundervoll hier, auch wenn das Wetter zu wünschen übrig lässt. Wir spielen Boccia, Handball, gehen schwimmen und sonnen uns, wenn die Sonne scheint, ansonsten frönen wir nur dem faulen Dasein und lesen.«
    Berliner Leben – die Zweite
    Im Sommer 1931 waren Lottie und Alexander zwei Jahre, zwei unruhige Jahre miteinander verheiratet. Falls Emilie oder, bitteschön, auch Fritz angenommen hatten, dass sich
für ihre älteste Tochter damit alles gerichtet hätte, so irrten sie. Denn jetzt fing es an. Schon im Herbst 1929, als die Große Depression über die Welt fegte, ging es langsam bergab, was das Geld und seine »Stellung« anbelangte. Da ging ihr kleiner Wagen dahin, ein Fiat war es, glaube ich, da fingen die wiederholten Gänge mit dem vielen schönen Schmuck zum Pfandleiher an, wenn ich Thiess Glauben schenken darf, und das tue ich. Im Januar 1930 verlor Lottie ihre Arbeit als Büroangestellte bei Ensoplatten-Import und war zwei Monate arbeitslos. Danach bekam sie – was für das von Arbeitslosigkeit heimgesuchte Berlin nur als Glückstreffer zu bezeichnen war – eine neue Stelle als Sekretärin bei Philips Glühlampen; womöglich wegen jener Konstellation aus Verbindungen, Charme und den entsprechenden Fähigkeiten, die eine junge Frau zu der Zeit besaß: Sprachkenntnisse, Kenntnisse in Maschineschreiben und in Stenografie.
    Im selben Jahr – 1930 – hatte der rastlose und aller Wahrscheinlichkeit nach völlig pleite dastehende Stenbock eine Idee: Er würde in Deutschland umherreisen und einen Reportageroman über das andere, das arme Deutschland schreiben, das Deutschland von unten. Nicht, Loll? Ist doch besser, als hier nur herumzulungern, oder? Und Stenbock fährt los und er genießt es. Genießt es, umherzureisen und mal hier, mal dort zu wohnen, Vorträge zu geben, mit seiner neuen Kamera zu fotografieren, Menschen zu interviewen, in die Masse einzutauchen – gewandt, präsent, mit offenen Augen und Ohren.

    Die Freundinnen schwingen das Tanzbein.
    In Berlin bleibt – seine junge Ehefrau. Sie zieht aus der teuren Wohnung in der Riehlstraße in Charlottenburg aus und besorgt sich eine preiswertere Unterkunft in Zehlendorf, vor den Toren der Stadt, von wo aus sie jeden Morgen und jeden Abend eine Stunde zur Arbeit fahren muss. »Aber im Sommer« – und wir befinden uns jetzt im Jahr 1930 – »ist es trotzdem schön, so einen Hauch Frischluft und Grün ab
zubekommen«, schreibt sie an Emilie. Denn – der Stadt zum Trotz – wenn die Sonne scheint, sehnt sich der Körper nach Sonne, Luft und Wasser, er sehnt sich zurück, zurück in die Heimat.

    Charlotte in fröhlicher Runde.
    »Es ist beinahe schon lächerlich«, schreibt sie an ihren Bruder Otto, »ich hatte dieser Tage so ein Heimweh, dass ich mir die ganze Zeit über

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