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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Zweiten Weltkrieg. In der Rückschau fällt es mir heute nicht schwer, die unsichtbare Hand zu sehen, die mich damals in das Zimmer meines Professors lenkte, an der Tür klopfte und mich hineinschob – die Hand meiner verstorbenen Mutter. Sowie ich drin war, erläuterte ich meinem Professor, dass ich meine Doktorarbeit in Geschichte über die Kommunistische Partei Schwedens und nicht über die Familienverhältnisse in Schweden während des Zweiten Weltkriegs schreiben wollte. Aha, sagte mein Professor, und so fing ich in jenem heißen Sommer 1968 damit an – voll trotzigem Linkszorn, von dem ich nicht weiß, wogegen er sich richtet –, die Geschichte des Kommunismus zu pauken:

    Die Linksparteien, die sich in Europa, auch in Schweden, nach und während des Ersten Weltkrieges aus Abspaltungen der sozialdemokratischen Parteien gründeten – aus Enttäuschung darüber, wie nationalistisch und chauvinistisch die internationale sozialistische Bewegung geworden war und für Kriegskredite gestimmt hatte –, schlossen sich fast vollständig der Kommunistischen Internationale, der Komintern, an, die 1919 aus der Taufe gehoben worden war. Bei ihrem 2. Weltkongress in Moskau 1920 wurden die sogenannten 21 Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale verabschiedet. Es gehe darum, eine Partei »neuen Typs« aufzubauen, so Lenin. Durch die Akzeptanz der 21 Bedingungen – ohne die eine Partei nicht Mitglied der Komintern werden konnte – erkannte man die Diktatur des Proletariats an, radierte alle Reformisten und »Zentristen« aus, führte das Prinzip des demokratischen Zentralismus (die
Führung trifft alle Entscheidungen) ein und ordnete sich der Komintern und ihrem Exekutivkomitee, dem EKKI , in allen Beschlüssen unter. Und damit begann sie, die Eingliederung und Unterordnung aller nationalen kommunistischen Parteien unter die Sowjetunion.

    »Das internationale Proletariat«, wetterte Lenin von der Rednertribüne, »braucht eine militante, monolithische Organisation!«
      »Hurra«, brüllten die Delegierten.

    Die Kommunistische Partei Schwedens, SKP , wurde folglich von einer Gruppe aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossener Sozialisten gebildet und leitete damit ihren langen Marsch zu einer völligen Unterwerfung ein, der im Herbst 1939 und im Winter 1940 kulminierte, als die Partei der Sowjetunion sogar bei ihrem Überfall auf Finnland ergeben folgte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich – ein paar Jahre später, mitten in meiner Doktorarbeit – spaßeshalber mit dem Gedanken spielte, sie » SKP – vom Schoßhündchen zum Papagei« zu taufen. Noch später verfasste ich einen völlig ernst gemeinten Artikel mit dem Titel SKP : Eine Studie über politischen Masochismus .
    Ich eignete mir den Jargon an. Strategie war das Etappenziel auf dem Weg zur Revolution. Taktik war das Mittel und die Methode, um das Etappenziel zu erreichen. Militärisch, sauber, adrett. Die Komintern stand für die »wissenschaftliche Analyse«, die darüber entschied, welches Etappenziel jeweils erreicht und welche Strategie bzw. »Generallinie« gefahren werden sollte. Die Analyse selbst ging von den Interessen der Sowjets aus – was könnte passender sein, Genossen, dort befindet sich doch die Wiege der Revolution! Die Kommunistische Partei der Sowjetunion – KPdSU –, sozusagen komprimiert in der Person Lenin/Stalin –, das sind
die Sterne, die uns den Weg weisen!, wie dieser Karlsson (ich habe seinen Vornamen vergessen) an einem Oktobertag im Jahr 1939 auf der Kungsgatan 84 in Stockholm von sich gab: Glaubt ihr etwa, dass sich die Sowjetunion irrt? Nein, das glaubte niemand …

    Auf dem nächsten Weltkongress der Komintern im Jahr 1921 reihten sich die Sektionen überall auf der Welt ein, d.h. die nationalen kommunistischen Parteien folgten der abgesteckten Taktik, die Einheitsfront getauft worden war. Einheitsfront. Das bedeutete, dass die kleinen Splitterparteien, die stolzen Sektionen der Partei der Weltrevolution in der Sowjetunion, ihren ehemaligen sozialdemokratischen Genossen eine Zusammenarbeit vorschlagen sollten. Na, vielen Dank! In der Geschichtsschreibung sollte das später als Rechtsstrategie bezeichnet werden. Diese (trotz allem) pragmatischere und plausible Strategie und Taktik – der Versuch, in einer Gesellschaft, in der die nationalistische, aggressive, antidemokratische Rechte allmählich Fuß fasste, wie in Italien und in Deutschland, am linken Rand nach

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