Meine Philosophie lebendiger Gaerten
- sie war mit Darwin befreundet und ungewöhnlich weit gereist für eine Frau in jener Zeit, bevor sie 1890 mit sechzig Jahren starb. Sie malte Pflanzen aus aller Herren Länder, auch vor Ort etwa in Australien, Indien, Brasilien und auf den Seychellen. Sie sezierte die Pflanzen, öffnete die Samen, um sie dann sehr groß, sehr schön, getreu nach der Natur zu zeichnen oder in Öl zu malen. Ihr Werk ist in der nach ihr benannten Marianne North Gallery im Botanischen Garten von Kew ausgestellt.
Ich habe auch diesem dritten Jahr in Kew viel zu verdanken: Heute kann ich viele Hunderte von Bäumen allein an der Rinde,
nahezu alle europäischen Bäume an ihren Knospen und am Holz, somit auch im Winter ohne Blätter, erkennen. Wir mussten lernen, viele Pflanzen an ihrer Saat zu bestimmen, haben studiert, wie die verschiedenen Saaten zu behandeln sind, ob man sie brennen oder tieffrieren, anfeuchten oder trocknen, warm und modrig halten oder den Samen sonst etwas »antun« muss, um sie zum Keimen zu bringen.
Bald stand der Unterricht in Gartengestaltung auf dem Plan, dreistündige nächtliche Vorlesungen bis dreiundzwanzig Uhr, über Wege, Poller und Plattenmaterial. Der dicke, alte Professor, Hochbauarchitekt und spezialisiert auf Materialkunde, sprach über Wegebeläge aus der ganzen Welt, überall war er selbst gewesen und hatte entsprechendes Bildmaterial, Tausende Dias, für seine Vorträge mitgebracht. Er kannte einfach alles: Beton, Sandstein, Kalkstein, Travertin, er wusste, wie Marmor im Garten reagiert, wenn er nass wird - am Ende waren es die schönsten Vorträge meines Lebens, ich folgte ihnen voller Faszination, während sich die Botaniker wohl eher langweilten. Es waren Vorträge, die mich auf das vorbereiteten, was ich einmal machen wollte. Diese Stunden haben mir die Augen geöffnet und mich in meinem Wunsch, Gartengestaltung zu erlernen, bestärkt.
Kew gibt seinen Studenten ein Wissen mit, das in seiner Vielfalt, Reichweite und Komplexität momentan einmalig ist auf der Welt. Es dringt hinsichtlich Gartenkultur in die tiefsten Tiefen und die abseitigsten Bereiche vor, bis hin zum Parkmanagement, zur Maschinenkunde oder der Kenntnis, wie viele Schnitte ein Spindelmäher pro laufendem Meter auf
einem Golfplatz leistet. Ein hartes Studium, vielleicht eines der aufwändigsten überhaupt.
Man arbeitet das ganze Jahr über im Botanischen Garten, mit den Händen ab morgens um acht Uhr, immer drei Monate in einer anderen Abteilung. Man lernt die Pflanzen vieler Kontinente kennen, draußen oder in den Gewächshäusern, mal im Alpinenhaus oder im Tropenhaus, im temperierten Haus, im Australienhaus oder im Wasserlilienhaus, und dann, vor allem nachmittags ab vier Uhr und abends bis zehn, auch mal bis elf Uhr, besucht man Vorlesungen und arbeitet an zahlreichen Projekten. Geschrieben werden nebenbei noch fünf oder sechs »Diplomarbeiten«, fast in jedem Fach eine - dieses Studium war ohne Frage bis heute meine größte Herausforderung, aber auch eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Dass ich nicht aufgegeben habe, verdanke ich allerdings nicht nur meinem Durchhaltevermögen, sondern auch all den bezaubernden Engländern um mich herum, die unermüdlich behaupteten: »You will be alright« (Am Ende wird alles gut sein). Und meiner einzigartigen Landlady Nancy Cooke, natürlich eine Gartenbesitzerin, die unermüdlich an meinem englischen Wortschatz arbeitete. Die schönsten Lernpausen in diesen Jahren, an die ich mich erinnere, waren jene, in denen ich auf der Treppe des großen Hauses an der Themse saß und der damals schon achtzigjährigen Nancy und ihrer sechsundneunzigjährigen Klavierlehrerin Ruby beim Spielen vieler, vieler Chopin-Sonaten zuhörte. Sie spielten nicht unbedingt fließend, aber dennoch zauberhaft und von mir als lebensrettend empfunden.
Die meisten Kew-Absolventen bleiben natürlich in der Gartenkultur, viele werden Direktoren von Botanischen Gärten in der ganzen Welt, so wurde einer meiner Kommilitonen Direktor in Madagaskars Botanischem Garten. Nur nach Deutschland geht man nicht so gern, weil hier sehr reglementierte Auflagen bestehen und zu wenig Freiraum gegeben ist, um zum Beispiel einen bestehenden Botanischen Garten auch mal modern und hip zu machen.
Was mir bis zum Ende meines Studiums nicht bewusst war: Wer ein Kew-Zeugnis vorweisen kann, für den gibt es keine Not, keine Angst vor der Zukunft. Viele Kew-Studenten sind schon vergeben, bevor sie ihren Abschluss haben. Als ich
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