Meine Philosophie lebendiger Gaerten
erfreuen, amüsieren, ergötzen sie sich, lachen, empören oder streiten sie sich gar über die Chelsea Flower Show - oder sie genießen sie einfach oder wundern sich.
Chelsea hat, neben dem großen Showeffekt, eine ungeheure Marketingwirkung, primär für die Sponsoren, aber auch für die Teilnehmer. Die Tickets sind immer schon lange im Voraus vergriffen, das ist nicht anders als in Bayreuth. Es gibt bis zu zweihundertfünfzigtausend Besucher auf dem nur dreieinhalb Hektar großen Grundstück während der fünf Öffnungstage, zwei Tage davon sind zudem für die Mitglieder der Royal Horticultural Society reserviert. Zwanzigtausend Tickets sind Ausstellern, Presse und Sponsoren vorbehalten. Ein normales Ticket zur guten Besuchszeit kostet rund fünfzig Euro, für die Royal Gala, die Nacht, bevor die Öffentlichkeit zugelassen wird, sind es rund vierhundert - dafür gibt es kaum mehr als ein Glas Champagner. Aber man ist dabei, und dabei sein ist alles. Das Geld ist für einen guten Zweck, und es werden immerhin rund zwanzig Millionen Euro an Eintrittsgeldern in die Kassen gespült.
Dennoch bleibt die Mehrheit draußen. Für sie gibt es das tägliche Fernsehprogramm mit ausführlichen Berichten, die ganze Woche über haben die meisten Zeitungen Sonderseiten und Extrablätter. Sechs Millionen Menschen lesen Tag für Tag die Neuigkeiten von der Chelsea Flower Show, erfahren von Promibesuchern, bekommen Klatschgeschichten vom Drumherum
serviert und wissen, wer sich die Gärten angesehen hat und - natürlich - wie sie aussehen. Hier wird mitgefiebert wie bei einer mehrtägigen Sportveranstaltung - Pflanzenneuheiten, Spannung vor den Preisvergaben, schließlich die Entscheidungen der Jury.
Alles andere als eine Gartenschau
Mit einer deutschen Bundes- oder Landesgartenschau hat Chelsea nichts zu tun. Diese deutschen Einrichtungen, die man übrigens in England in dieser Form wiederum nicht kennt, sind, anders als die großen Shows in England, positive Freizeitinvestitionen, die sehr zu begrüßen sind. Im April oder Mai öffnen diese Gartenschauen, wenn die Pflanzen noch recht klein sind und niemand so recht erkennt, was diese Setzlinge da sollen und wollen und später auch können - mit Ausnahme jener dekorativen »Baden-Baden-Beete« mit auffälligen bunten Frühjahrsblühern, die schön anzusehen sind. Über den Sommer wird das dann immer prächtiger. Schließlich kommt der Oktober, da haben sich die Pflanzen gut eingewachsen und stehen in ihrer Blüte oder haben sie gerade hinter sich, dann ist die Schau an ihrem Ende angekommen. Im Rückblick keine Show, dafür ein Freizeitgelände zum Entspannen, das die Menschen gern annehmen, wie die Besucherzahlen zeigen. Sehr positiv sind die Erfolge der Begrünung einzelner Regionen, aus denen oft Landschaftsparks entstehen. Brachliegende Gelände werden wiederhergestellt oder erstmals begrünt, um anschließend
auf Jahre genutzt zu werden, vor allem an Wochenenden, zum Spazierengehen, Entspannen, manchmal für kleine Konzertveranstaltungen.
Noch einmal: Eine Bundesgartenschau ist keine Show, auch wenn etwas zur Schau gestellt wird. Sie ist nicht perfekt, was zu einer Show zwingend gehört, und sie will von ihrem Selbstverständnis her auch gar nicht perfekt sein. Eine deutsche Gartenschau ist im Vergleich zur Chelsea Flower Show - man möge mir dies verzeihen - wie eine Modenschau mit halbfertigen Hemden, noch nicht zu Ende genähten Kleidern und ungeschminkten Mannequins. Eine deutsche Gartenschau braucht ihre Zeit, um sich richtig zu entwickeln. Der Westpark von München ist so ein Refugium - 1983 war ich nach meiner Lehre dort beim Aufbau dabei; jetzt ist er toll, aber das hat viele Jahre gedauert.
Wie anders ist Chelsea! Auf höchstem Niveau, der Hype um Fashion, das ist Paris, wenn es um die aufsehenerregenden Modekreationen der neuesten Saison geht. Genau das gibt es in England eben auch für Pflanzen, für den Garten. Der Engländer weiß, dass es unrealistisch ist, was ihm da geboten wird. Aber gerade das ist das Reizvolle an diesem Highlight des Jahres. Schöne Blumenbeete, einfarbig oder bunt, das kann jeder selbst im eigenen Garten schaffen oder sich zumindest darum bemühen. Das Besondere, das Spektakuläre, das Grandiose, das noch nie Gesehene, das Inspirierende, ja, auch das Elitäre im wörtlichen Sinne als »Auserlesenes« (vom Lateinischen electus ) zieht an. Das ist alles sehr teuer, hochwertig und aufwändig, wie es sich die Masse nicht
leisten kann -
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