Meine Philosophie lebendiger Gaerten
aber es prickelt, wie es einen Autonarren verzückt, wenn er einen Ferrari im Autosalon sieht, oder wie die Schmuckliebhaberin der Anblick der Brillantenauslage reizt.
Wie Paris ist auch Chelsea ein Ort, an dem man ausbrechen kann. Alles ist hier erlaubt. So wie Jean Paul Gaultier für seine Muse Madonna geradezu untragbare Kleidungsstücke kreiert hat, so gibt es auch auf der Flower Show Entwürfe, die ich aus meiner Warte etwas zurückhaltend als seriously interesting , als »recht interessant« beurteilen würde. So etwa das Projekt »Mars Garden« vor einiger Zeit: ein Lavafeld! Etwas weniger zurückhaltend qualifiziert: Es war das Grässlichste, was ich je gesehen habe, aber handwerklich perfekt. In diesem Garten wuchs nichts, aber auch gar nichts, außer ein paar Eumeln, wie man sie sich auf dem Mars vorstellt. Aber die Jury wollte partout modern sein und gab den Ausstellern dafür tatsächlich einen ersten Preis. Das halbe Land war aufgebracht, man diskutierte kontrovers unter Fachleuten und Laien, Empörung und Entsetzen mischten sich mit dem Jubel über das Unkonventionelle und Unangepasste. Die Meinung der Queen ist nicht überliefert, sie dürfte zumindest not amused gewesen sein.
Jeder Winkel der zweihundertfünfzig Quadratmeter eines Schaugartens will bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet sein. Erforderlich ist eine Logistik der Vorbereitung und Ausführung, die mit jedem Generalstabsplan konkurrieren kann. Unsere Pergola musste fast ein Dreivierteljahr vorher gebaut werden, dann wurden die Wisterien angebracht und
gewunden, damit sie sich noch ausrichten konnten, um dann während des Aufbaus im perfekt blühenden Zustand samt Behältern für die Wurzeln mit einem Kran in den Garten gehievt zu werden.
Bis zwanzig Tage vor der Eröffnung dient das Gelände als Erholungspark samt Tennisplätzen und Grünanlagen für in Chelsea lebende Veteranen. Dann aber geht es los. Da die Zufahrtswege sehr eng sind und in diesen wenigen Tagen des Aufbaus an allen Gärten gleichzeitig gearbeitet wird, herrscht ein phänomenales Chaos. Einmal musste ich sechs Stunden auf meine Lieferung warten, weil die Wege verstopft waren. Im »Stau« waren dann die Pflanzen zu gießen, damit sie keinen Schaden nahmen. In den ersten Aufbautagen musste erst einmal viel Bodenmaterial ausgehoben und abtransportiert werden, dann kamen die Heckenelemente, Solitärbäume und die Pergola. Nach zehn Tagen stand der Rahmen des Gartens. Um tausendfünfhundert Pflanzen in den Beeten und Rabatten plangenau zu setzen, müssen siebentausend Pflanzen in Drei- bis Fünflitertöpfen fast ein Jahr lang gezogen, gepflegt und geprüft, gedüngt und gewässert werden. Das geschieht in spezialisierten Gärtnereien. Was zu schnell angeht, kann keine Verwendung finden, denn es hat ja dann schon seinen Zenit überschritten oder ist gar verblüht, wenn es darum geht, im Beet zu landen. Was zu langsam wächst, hat ebenfalls keine Chance - (zeit-)punktgenaues Wachstum ist nötig, um im Showgarten zu strahlen.
Bei aller Künstlichkeit, die in den Chelsea-Gärten der Natur abgerungen wird, bei aller Synthetik gegenüber der
gewachsenen Natur ist diese Show auch eine echte Herausforderung an die Gartenkultur. Denn immerhin findet sie zu einer Jahreszeit statt, in der noch nicht viel blüht. Doch die Designer wollen dennoch Kreationen offerieren, die spektakulär wirken. Tricksen und triezen geht mit Pflanzen nur sehr eingeschränkt: Herbstastern gibt es hier nicht und hat es noch nie gegeben, weil sie eben erst im Herbst blühen und nicht im Mai. Aber die Herausforderung, immer mehr Pflanzen aus anderen Klimazonen zu präsentieren, besteht durchaus - so gibt es auch einen australischen oder einen neuseeländischen Garten und Designer aus aller Welt, die sich zu profilieren versuchen: mit immer neuen Pflanzen und der Natur abgeschauten oder aufoktroyierten Schauspielen.
Auszeichnungen ergattern regelmäßig Insassen eines Londoner Gefängnisses, die naturbelassene Gärten, Wald- und Wildgärten gestalten, dabei auch mit Unkrautsoden arbeiten und auf diese Weise schönste Entwürfe realisieren. Hier sind nicht nur das Konzept und die Ausführung interessant, es sind auch die Gestalter, die hinter dem Konzept stehen. Mitunter drängt sich der Verdacht auf, dass die Straffälligen das Gefängnis bei so viel Freude am Gärtnern und bereits eingeheimsten Erfolgen gar nicht mehr verlassen wollen. 2009 gehörte ein Exjunkie und langjähriger Gefängnisinsasse, der
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