Meine Philosophie lebendiger Gaerten
vorhersehbar, kontinuierlich, relativ gleichförmig, auf großer Langzeitskala. Keine Überraschung, kein Tages- oder Wochenrhythmus, da passiert wenig, wenn nicht gerade ein Kulissenteil stirbt oder dadurch einige Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er besonderer Zuwendung bedarf - Dünge mich! Beschneide mich! Ernte meine Früchte! Kümmere dich um mich! Ansonsten erregen sie wenig Aufsehen, sie sind einfach da, sie geben den Hintergrund. Spontane Ereignisse in kürzeren Intervallen gibt es in den Kulissen selten.
Eine Hecke kann lediglich mal beschnitten werden, dann sieht sie formal und strukturell ganz anders aus, aber sie bleibt
Teil der Kulisse. Bühnen können durchaus auch abgeräumt, Bäume gefällt, Hecken entfernt werden, aber dann sind sie nahezu unwiederbringlich beseitigt und nur mit großem Aufwand zu ersetzen. Die - langfristigen - Veränderungen dieser Kulissen sind oft nur auf fotografischen Zeugnissen wahrnehmbar, wenn nach Jahren, einem oder mehreren Jahrzehnten die Bilder miteinander verglichen werden. Da wirft eine einst neu gepflanzte Kastanie dreißig, vierzig Jahre später Schatten auf das vierte Stockwerk, da kann über Hecken nicht mehr zum Nachbarn geschaut werden, da ist der einst freie Durchblick in die umgebende Landschaft verbaut - aber das ist dann ein anderes Thema: Die Pflege der Kulisse kann angesichts der saisonaktuellen Bühneninszenierungen durchaus vergessen werden. Ihre ganz allmählichen, über die Jahre sich hinziehenden Veränderungen können auch mal im wahrsten Sinne des Wortes aus den Augen verloren werden.
Vor dieser Kulisse gilt es also, Jahr für Jahr, Saison für Saison die Show aufzubauen. Auftritte sind zu planen, zu gestalten, zu inszenieren - in einem ganz theatralischen Sinne. Keinesfalls nach starren Kriterien, denn es gilt: Alles kann, nichts muss. Jeder mag sein eigenes persönliches Verständnis einer gelungenen Show haben, die hier stattfindet, ob das nun eine opulente Wagner-Oper ist, ein Volksmusikstadel, eine Musicalshow der leichten Unterhaltung, ein intellektuelles Experimental-Event oder ein Bühnenzauber mit Glimmer-, Glitzer-, Nebel- und Special Effects. Entscheidend ist, dass der Betrachter während der Show aufmerken sollte: Wow, haben die Darsteller nicht schön, schrill, ausdrucksstark, zum
Dahinschmelzen oder geradezu göttlich gesungen, gespielt oder getanzt? Großer Applaus! Zugabe! Da capo!
Wie bei jeder guten Theateraufführung setzen auch unsere Garteninszenierungen einen herausragenden Regisseur oder auch Choreografen voraus. Auf meinen Bühnen inszeniert Isabelle: Isabelle Van Groeningen, in Belgien geborene, ebenfalls in Kew Gardens ausgebildete Meisterin des In-Szene-Setzens von allem, was in der Pflanzenwelt kriecht und klettert, wächst und gedeiht, sprießt und blüht, was sich formt und bewegt, duftet und rauscht.
Choreografien für den Garten zu schreiben, setzt ein gewaltiges Wissen voraus: Wann blüht eine Pflanze, wie blüht sie, wie viel Platz nimmt sie ein, blühend und nicht blühend, wann geht sie ein, was kommt danach? Hier können Höhepunkte erlebt werden, wie im wirklichen Schauspiel oder in einem schönen Konzert, hier geht es ins Adagio, und dann wird es wieder kräftiger. Es werden sich ändernde Jahreszeiten reflektiert, die Bedürfnisse des Herzens angesprochen, die sich ebenfalls jahreszeitlich ändern, wechselnde Farbbedürfnisse etwa - all diese Dinge kann ich wahrnehmen und sehen und mich daran erfreuen, aber nur sie kann dies in einem Garten realisieren. So wie Isabelle ihre Choreografien anlegt, wie sie ihnen Leben einhaucht, setzt es eine ganz besondere Berufung voraus, die eine hohe Qualifikation erfordert.
Wir arbeiten nun schon so lange zusammen, dass ich mit meinen Räumlichkeiten, den gezimmerten Bühnen und vorgestellten Farben Vorgaben mache, die sie unmittelbar versteht,
kongenial erfasst, in die sie sich ein- und hineinfühlt. Wenn meine Gestaltung Beete vorsieht, die in den Schatten reichen oder nach einem Waldgarten verlangen, dann weiß ich, dass sie das erkennt, ohne lange Erklärungen oder gar Überzeugungsarbeit, und entsprechende Pflanzungen konzipiert. Sie weiß, ob meine Bühne ein Staudenbeet in Weiß, Rosa und Lila fordert, ob nur die hot colours zugelassen sind oder beides kontrastierend, ob bestimmte Pflanzungs- oder Aussaatstrukturen gefragt sind. Ich fühle, wie es auf der Bühne aussehen soll, kenne ja selbst sehr viele Pflanzen, habe Tausende im Studium kennengelernt - aber
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