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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Pape
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verändert. Ein Musikliebhaber hört heraus, ob Karajan oder Barenboim dirigiert, Furtwängler oder Simon Rattle am Pult steht - und doch spielen sie alle Mozart, Beethoven oder Brahms. Die Musik wird Ohren und Herzen von heute nahegebracht, ein Dirigent will nicht schablonenhaft etwas nachvollziehen oder wiederholen, was seit Jahren, Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten zu hören ist. Sein Ziel ist es, mit einem ausgewählten Orchester einen einzigartigen, möglichst nie zuvor gehörten Klang hervorzubringen, für Ohren, die heute anders hören, für Herzen, die heute anders schlagen.
    So muss man sich im historischen Garten die Freiheit nehmen, auf der Grundlage der alten Pläne, gleichsam die alten Partituren, etwas Neues zu schaffen, eine neue Interpretation der Komposition. Der Gartenarchitekt von heute sollte sich etwas einfallen lassen, das durchaus im Einklang mit den
Intentionen des historischen Gartenarchitekten steht, jedoch unter Berücksichtigung der veränderten Bedingungen. Kommt also die Alternative infrage, die Bäume zu fällen? Manchmal ja, manchmal nein. Sie sind ihrerseits historisch gewachsen und gehören selbst zu dem zu erhaltenden Konzept. Vielleicht sah ja damals der Gartenarchitekt genau voraus, wie seine Anlage mit großen Bäumen einmal in hundert oder mehr Jahren aussehen würde.
    Vielleicht einen Schattengarten anlegen? Das wäre zwar nicht im Sinne des historischen Gartenentwurfs, aber es könnte den Künstler von damals eher glücklich machen, wenn er sehen würde, was der »Interpret« einer zukünftigen Zeit im Zusammenwirken mit natürlichen Veränderungen aus seiner Anlage Neues schöpft, wie er dem Garten, dem Park auf diese Weise zu seiner Wiedergeburt oder zu einem Weiterleben in der Zukunft verhilft.
    Auch im historischen Garten könnte es somit Überraschungen, Neuheiten oder Brüche geben, könnten Nuancen von Fremdem und somit auch Weiterentwicklungen mitspielen. Solche an sich fremden neuen Momente können zu einer Einheit mit den historischen Vorgaben verschmelzen. Man muss nur den Mut dazu haben, es zu tun, und das Vertrauen derer gewinnen, die am Erhalt des Historischen für die Gegenwart interessiert sind.
    Das Festhalten an Paragrafen und Fakten in Form von alten Gartenplänen, die eins zu eins zu erhalten, nachzubauen und nachzupflanzen sind, halte ich für einen Anachronismus. Wer nur die Kopie des Alten haben will, wer die Rekonstruktion
des Historischen als Selbstzweck verfolgt, der wird am Ende nur einen toten, emotionslosen Garten betreten, dem all jener Geist, all jene Kreativität fehlt, die den Garten zur Zeit seiner Entstehung ausgezeichnet hat.

Die Vermessung des Gartens

    W er nach grundsätzlichen Veränderungen seines Gartens sucht, um daraus etwas Schönes zu erschaffen, der muss ihn zunächst in seiner bestehenden Gesamtheit erfassen und verstehen. Ein Garten ist ein Kosmos im Kleinformat, ein Mikrokosmos, also etwas Ganzes, eine kleine Welt für sich und somit durchaus vergleichbar - und dies ist wahrhaft nicht überzogen - jener ganzen Welt, der sich vor über zweihundert Jahren der Forschungsreisende Alexander von Humboldt gegenübersah, als er sich der »physischen Weltbeschreibung« widmete. Ihm ging es um »die Erscheinung der körperlichen Dinge in ihrem Zusammenhange, um die Natur als durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes« 5 , wie er später einmal in einem Brief schrieb, als er seine Ergebnisse längst im Sack hatte, als sie schon veröffentlicht waren.
    Dieses Tun hat Daniel Kehlmann in seinem wunderbaren Roman über die fiktive Begegnung zwischen dem Naturforscher Humboldt und dem Mathematiker Gauss auf den einfachen Begriff des Vermessens gebracht, eine Metapher, die die ganzheitliche Aneignung, das Verstehen und Erfassen unseres Gartens nicht besser treffen könnte. Er legte Humboldt in den Mund, was dieser durchaus gesagt haben könnte: Ein Hügel, von dem man nicht wisse, wie hoch er sei, beleidige die Vernunft... Ein Rätsel, wie klein auch immer, lasse man nicht am Wegesrand. 6
    Wenden wir den Blick vom weiten Horizont der uns umgebenden Welt auf unseren Mikrokosmos Garten, so können bereits die erwähnten »Hügel« eine erste Klippe bei der
Vermessung darstellen. Jeder Gartenbesitzer, danach befragt, wie groß denn die vorhandenen Höhenunterschiede in seinem Garten seien, fühlt sich tatsächlich »in seiner Vernunft beleidigt«, wenn er nach fachmännischer Berechnung einräumen muss, dass die Höhen um mehr als einen

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