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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Pape
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das behalten? Es ist eine Frage, die über Leben und Tod entscheidet. Sich mit dem Lebenden im Garten zu beschäftigen, ist nämlich ein eigenartiges Phänomen: Da gibt es Dinge, die sterben seit zwanzig Jahren, wie jener Kirschbaum nahe der Terrasse. »Er ist krank, seit wir hier eingezogen sind, er hat noch nie richtig geblüht, er rollt immer im April kurz nach dem Austrieb die Blätter auf, dann rutscht so eine Grütze am Stamm entlang, grässlich und eklig.« Diesen Anblick bietet der Baum seit zwei Jahrzehnten, eine ganze Menschengeneration, keiner tut etwas für oder gegen diesen Kirschbaum in der Hoffnung, dass er irgendwann einmal blüht. Oder sich entscheidet, vollends einzugehen. Aber dann bitte ohne unser Zutun. »Wie wäre es, ihn abzusägen und etwas Neues zu pflanzen, das einfach blüht und eine schöne Herbstfärbung zeigt?« »Aber das wäre doch schade.«
    Ist es wirklich schade, oder ist es nur die Angst, dem Baum, der dahinsiecht, den Rest zu geben? Wäre es ein Sofa, bei dem bereits die Sprungfedern herausschauten, hätte man längst das Kaufhaus aufgesucht, um für Ersatz zu sorgen, und das alte Sofa auf den Sperrmüll geschmissen. So oft, wie wir uns im Haus erneuern, erwarten wir draußen von der Natur, dass sie alles selbst macht. Wenn ein Baum jahrelang vor sich hin stirbt, dann ist das ein Gräuel, dem die Menschen tatenlos zusehen, obwohl sie längst Sterbehilfe leisten müssten. So etwas stellt man bei der Vermessung fest.

    Oft zeigt sich ein ähnliches Bild bei anderen Pflanzen, die längst nicht mehr zu retten sind und vor sich hin krepeln. Also ist eine Entscheidung gefordert, was erhaltenswert ist und gerettet werden soll. Manch einer zeichnet als Resultat der Vermessung alles in seinen Gartenplan ein, führt alles auf - als Gartenplaner muss man sich dann durch jeden Strauch, durch jede Staude reden.
    Dort wo es wuchert, wo Büsche sich doppelt und dreifach stark ausgebreitet haben, wird der Garten immer kleiner. So führt die Angst, etwas abzuschneiden, dazu, dass eine Dame, die ausgepflanzte Weihnachtsbäume als Hecke um ihre Terrasse herum kultivierte, sich nach achtzehn Jahren wunderte, dass sie in einem ausgewachsenen Fichtendschungel und immer im Schatten saß - sie klagte, dass ihr Garten so dunkel sei. »Mal die eine oder andere Fichte fällen?« »Aber es sind doch Weihnachtsbäume, von denen jeder in sich Erinnerungen trägt.«
    Wir haben uns getraut, hier etwas freizuschlagen, seitdem ist in diesem Garten die Sonne aufgegangen - und auch im Herzen seiner Besitzerin, die bis dahin nicht wusste und nun überrascht feststellte, dass sie einen sonnigen Garten hat. Die Dunkelheit hatte sie nie mit ihren Pflanzen in Verbindung gebracht, sondern angenommen, das Haus sei eben ein gottgegeben und unveränderbar dunkles, das schon in seiner ganzen Düsternis erworben worden sei. Hier war Mut zur Veränderung gefragt, Mut, der oft nur von außen herangetragen werden kann. Menschen, die in ihrer Rolle als Sammler, als Hamsterer gefangen sind, gibt es auch in puncto Garten. Sie können nichts wegwerfen,
sie können sich von nichts trennen, vor allem nicht von den alten vertrauten Dingen, die längst nicht mehr gebraucht werden. Sie leben in ihrer ewig alten Geschichte, in der Angst, es könnte keine neue mehr nachkommen.
    Im Garten aber erleben wir, dass sofort Neues geschieht. Der Garten lässt - kaum haben wir uns vom Alten getrennt - Neues entstehen, schöner als je zuvor. Das keimende Samenkorn braucht nur Sonne. Die Mohnfelder sind ein schönes Beispiel: Plötzlich über Nacht ist alles rot, wo es zuvor farblos war, auf Feldern, die gerade umgepflügt wurden, musste die Saat erst aufgedeckt werden. In einem Garten, der jahrelang von Koniferen verschattet war und nun ein bisschen freigeschlagen wurde, damit die Sonne eindringen kann, gehen plötzlich Dinge auf, die hier nie zuvor gesehen wurden. Ein Gartenbesitzer, der noch kürzlich klagte, bei ihm wachse gar nichts, obwohl er schon so viel gepflanzt habe, kann jetzt sein Glück kaum fassen und erkennt seinen Garten kaum wieder. Manch einer entdeckt ganz hinten in seinem Grundstück - hinter Büschen und tiefem Gestrüpp, unter Schatten werfenden alten Bäumen - Bereiche mit sehr viel Humus, fruchtbarstem Boden, weil dort seit Jahrzehnten Menschen ihren Kompost entsorgt haben. Dort würde sehr viel wachsen, käme nur das nötige Licht herein. Erst mit der Vermessung finden die Menschen diese Orte im eigenen Garten, wie Humboldt

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