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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Pape
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halben Meter gegenüber seinen gefühlsmäßigen Schätzungen differieren. Die Vermessung des Gartens verfolgt viele Ziele und Zwecke, auf die noch einzugehen sein wird, insbesondere kann sie ein einzigartiges Dokument für den Gartenbesitzer entstehen lassen, das in seiner Anschaulichkeit und Präzision den Zustand, die Elemente, die Beschaffenheit seines Fleckchens Erde zu einem bestimmten, nicht wiederkehrenden Zeitpunkt festhält.
    Dazu gehören neben den Höhen und Tiefen, sanften Erhebungen und Senken, das Haus und die Grundstücksgrenzen, Zäune und Hecken, Beete und Rabatten, Pflanzungen und Rasenbereiche, Bäume in ihrer genauen Position, aber auch die Stärken der Baumstämme und Baumkronen, Mauern, Treppen und Wege, einschließlich ihrer Verläufe und Materialien, Terrasse und Schuppen, Wasseranschlüsse und Kompostecke, Bodenqualität, Feuchtigkeit und Trockenheit, Spielflächen der Kinder mit Schaukel und Vogelhäuschen, Pergola und Teich, Sitzplätze, Grillplatz und Pavillon, Sonnenbereiche und Schatten zu bestimmten Tageszeiten, besondere Tiere von den Plagegeistern bis zum Hauskater, Blicke aus den Fenstern und den Türen, Blicke auf Haus und Terrasse vom Gartentor, der Garage und anderen markanten Punkten aus, Sichtachsen und Perspektiven.

    Winzige Details sind nicht ausgenommen: Lauter unterschiedliche Materialien auf dem Weg zur Haustür - weil der Vorgänger keinen Waschbeton hatte, wurde Schiefer eingelegt, zur Ausbesserung kamen später ein paar Steine dazu, was gerade greifbar war. Zufall und Sparsamkeit reichten sich die Hände. Überall sind solche Zeugen aus früheren Jahren an und in Häusern und Gärten vorhanden, mit denen sich ihre Bewohner selten oder noch nie befasst haben: alte Pfosten, tote Hölzer, überflüssige Komposthaufen, anschlusslose Leitungen. Beim Vermessen des Gartens werden auch solche nie bewusst wahrgenommenen Dinge entdeckt und festgehalten. Wenn ich (garten-)ratsuchende Menschen auffordere, zunächst einmal ihr Naturareal zu vermessen, dann liegt mir in erster Linie am Herzen, dass sie sich mit diesem wertvollen Stückchen Land, ob groß oder klein, beschäftigen. Sie behaupten zwar meist von ihrem Garten, dass sie bereits sehr lange darin lebten, mein Eindruck ist aber oft, dass sie kaum etwas über ihn wissen. Das beginnt schon mit der ersten Skizze aus dem Kopf: Nach der ist alles klar, ungefähr jedenfalls. Doch das Bild, das man im Kopf mit sich herumträgt, hat meist wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Das ist fast ein bisschen wie die Täterbeschreibung in einer Zeugenbefragung: Jeder hat ein anderes Bild von dem, was alle gesehen haben, jeder hat im Gedächtnis etwas anderes abgespeichert. Gemeinsam ist den Zeugen - in Fragen des Gartens sind es meistens die Ehepartner - eigentlich nur, dass sie ein falsches Bild haben. So dient die Vermessung des Gartens zunächst einmal der Kommunikation zwischen den Gartenbesitzern
und dem Gartendesigner; der Philosoph würde sagen: der Suche nach Wahrheit.

Das Fremde im Eigenen
    Beginnen wir ganz trivial: Wo genau steht im Garten der Walnussbaum? Mitten auf dem Rasen, mitten im Garten. Der Kompost ist ganz hinten am Zaun. Und der Rasen geht bis etwa drei Meter vor das Nachbargrundstück. Soweit, so gut. Wenn dann aufgemessen wird, stellt sich heraus, dass der Winterjasmin den halben Garten bereits aufgefressen hat; der Rasen ist somit nicht drei Meter, sondern schon sechs, sieben Meter vom Nachbarzaun entfernt. Das ging ganz schnell, weil in den vergangenen Jahren der Mut fehlte und das Wissen, wie geschnitten wird. Der Kompost steht nicht an der Gartengrenze, sondern anderthalb, zwei Meter davor, weil der Vorgänger immer Rücksicht auf den Nachbarn nehmen wollte. Dahinter aber ist alles verwachsen. Also ist überall Platz verschenkt, und der Walnussbaum steht dann natürlich optisch gesehen mitten im Garten, weil er auch immer weiter heranrückt - oder wegrückt, denn eigentlich steht er viel dichter am Haus. Der Vermesser hat die äußerst wertvolle Aufgabe, an alle möglichen Stellen zu kriechen, er macht sich auf den Weg in die Tiefen des Gartens.
    Bald höre ich im Zuge der Vermessung die neuen Erkenntnisse: »Da gibt es ja Ecken in unserem Garten, da waren wir noch nie.« Und dabei handelt es sich keineswegs nur um große Gärten. Zum ersten Mal kommt bei den Besitzern
das Gefühl auf, das eigene kleine Feld zu entdecken und zu registrieren, was da alles wächst. Fast gleichzeitig stellt sich die Frage: Will man

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