Meine Philosophie lebendiger Gaerten
eigenartiges Gefühl gegenüber einer Pflanze, deren Wachstum kaum bemerkt wird und die uns dennoch zugleich unsere eigene Vergänglichkeit so sehr spüren lässt.
Nicht anlässlich meiner Geburt, aber zufällig im selben Jahr wurde auf dem Grundstück meiner Eltern eine Felsenbirne (Amelanchier) gepflanzt. Der Baum blühte zu meiner Geburt im Mai. Er blühte immer zu meinem Geburtstag, und so war er mir immer als mein Geburtstagsbaum verbunden. Unter seiner blühenden Krone habe ich an meinem achtzehnten Geburtstag gefrühstückt. Er steht noch immer dort, dieser alt gewordene Großstrauch, mit dem ich das Alter teile. Und doch habe ich eine entscheidende Veränderung an ihm wahrgenommen: Seit ein paar Jahren blüht er immer zwei Wochen früher, weil es so viel wärmer geworden ist - seit ein paar Jahren ist er an meinem Geburtstag verblüht.
Meine ersten bewusst suchenden Schritte hinaus in die Welt, nachdem ich die Schule verlassen hatte, führten mich ebenfalls
zu den Bäumen: zu einer Baumschule, und nach zwei Jahren stand ich als gelernte Baumschulerin da.
Bäume faszinieren mich bis heute. Zum Beispiel »meine« Felsenbirne: Nun kennen wir uns schon so lange. Wie sehr hat sie sich in dieser Zeit verwurzelt und verzweigt! Wie sehr habe ich in dieser Zeit Wurzeln geschlagen? Und wie oft wieder neuen Boden gesucht? Das Werden, Bestehen und Vergehen der Menschen unterliegt sehr viel kürzeren Zeiteinheiten als dem der Bäume.
Gerade deshalb sind sie für uns Hoffnungsträger. Niemals erlebt der Pflanzer eines langlebigen Baumes, einer kleinen Eiche zum Beispiel, den Baum in seiner schönsten Vollendung, und dennoch pflanzen wir immer wieder Bäume. Wir tun dies nicht für uns: Sie sind ein menschlicher Ausdruck von Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft, in die Kinder, in die Kinder der Kinder. Sie sind Hoffnungsträger der Menschheit.
Bäume werden im Grunde immer für die nächsten Generationen gepflanzt. Selbst große Landschaftsarchitekten wie Peter Joseph Lenné haben ihr Werk nie vollendet gesehen, weil Bäume einfach zu langsam wachsen. So hat Gartenkultur auch aus diesem Blickwinkel immer etwas mit Visionen, mit visionärem Sehen und Denken zu tun. Der Gärtner sieht vor seinem inneren Auge, wie die Bäume, die er pflanzt, in fünfzig Jahren aussehen.
Dieses Visionäre in Verbindung mit einem Baum, dieses Orientieren und Orientiertsein auf die Zukunft, drückt sich auch darin aus, dass seit ältesten Zeiten neben das neue Haus
ein Baum gepflanzt wird: Ein Haus will immer geankert sein. Und Bäume ankern. Früher wurde rechts und links des Hauses eine Pappel gepflanzt oder eine Linde, stand am Haus eine Kastanie oder eine Eiche - jahrhundertealte Stiche und Gemälde, alte Fotos zeugen davon. Wobei man heute weiß, dass weder Eiche noch Pappel unbedingt die besten Hausbäume sind.
Man gab dem Baum nicht diesen Platz, weil man das besonders schick fand oder irgendeinen praktischen Zweck verfolgte - dieser Baum etablierte das Haus, im übertragenen Sinne steht der Baum für ein Wurzelschlagen des Hauses, ein Akt, der den Baum ja selbst auszeichnet. Für das Haus bedeutet es: Hier wird eine Familie gegründet, hier pflanzt man einen Baum. Früher gehörte der Hofbaum für viele Menschen zur unauslöschbaren Kindheitserinnerung, die große Kastanie, die Bank darunter, wo Großmutter Geschichten erzählte, wo die Fahrräder angelehnt waren, wo Herzchen eingeritzt waren. Der Pflanzer des Baumes war schon lange tot, aber er hatte für einen Hoffnungsträger in der Zukunft gesorgt. Diese Tradition möchte ich erhalten, ich möchte sie wiederbeleben und wünsche den Menschen, dass sie diese Botschaft für ihre Kinder und Kindeskinder entdecken. Mögen sie mit dem Pflanzen eines Baumes etwas Bleibendes, etwas Unvergessliches hinterlassen. Und wehe, es käme jemand nach vierzig, achtzig oder hundert Jahren auf die Idee, diesen Baum umhauen zu wollen. Der Frevler würde sich der Vernichtung einer gewachsenen Menschheitserinnerung schuldig machen.
Sollte mich jemand fragen, ob das heute noch kleine Bäumchen, das ich gerade einem Garten zur Zierde einpflanze, nicht in ein paar Jahrzehnten den Hof verschatten könnte, und, wenn es dann ein riesiger Baum würde, oben die Schlafzimmer verdunkelte, dann kann ich nur antworten: Bis dahin ist der große alte Baum, der hier stehen wird, ein Teil des Lebens aller geworden, die ihre Existenz mit ihm teilen und dem so viel Respekt und Ehrfurcht entgegengebracht wird, der
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