Meine Philosophie lebendiger Gaerten
die schlimmsten Wetter kommen: In ihrem Kopf und ihrem Herzen geht die Gartensaison bereits wieder los. Kurz davor kann sie ganz ungeduldig, ja panisch werden: Sie muss irgendwo eine Zaubernuss sehen. Als wir noch in England lebten, hatten wir das Pech, dass die Zaubernuss in unserer Gegend aufgrund des alkalischen Bodens nicht wuchs. So musste Isabelle bis Oxford fahren, nur um eine blühende Zaubernuss im Botanischen Garten zu sehen und, wie süchtig, ihren starken Duft einmal tief einzuatmen, und noch einmal - und dann konnte die Saison beginnen.
Dann stand alles wieder auf Anfang.
Pflanzen datieren einen Garten
W enn ich heute nach Pflanzen gefragt werde, die ich aus meiner Kindheit in guter Erinnerung habe, dann stellt sich mir ein besonderer Zeitbezug her: Ich weiß, aus welchem Kontext die Menschen mit ihren Interessen und Wünschen kommen. Warum gerade diese Pflanze? Warum gerade Heide, warum gerade Geranien? Warum nicht mal neue Asternsorten, Tabakpflanzen oder exotische Cosmeen oder auch dauerhafte Gräser? Pflanzen sagen mir, wo so mancher Gartenliebhaber in der Zeit steckengeblieben ist. Das ist nicht selten die eigene Kindheit.
Wenn ich zum Beispiel im frühen Herbst morgens am Großmarkt stehe, frage ich mich manchmal: Wer kauft nur diese ganze Heide? Wenn ich mir die Angebote im Blumenladen an der Ecke oder in einem Baumarkt ansehe, dann weiß ich, wie sehr gerade unsere Gesellschaft topfgebunden geblieben ist, sich nicht weiterentwickelt hat, wie sie sich dagegen sträubt, auch einmal ganz andere Wege zu gehen, sich einmal zu verlaufen, um an einem überraschenden Ort anzukommen, neugierig nach Neuem Ausschau haltend. Gekauft wird immer noch, was sich vor Jahren und seit Jahren bewährt hat. Die Menschen haben sich festgefahren im eigenen Pflanzenbeet oder auf ihrem Fensterbrett.
Dabei kann Neues so viel Freude bringen, Zuversicht und ein positives Lebensgefühl. Frische und Leichtigkeit. Wer sich ausschließlich auf das Alte und Unveränderte, das Immerwährende und Altbewährte beschränkt, der verlangsamt, geistig, körperlich und vor allem seelisch. Was einmal voller Leben war, wird zur uninspirierten, kaum mehr wahrgenommenen
Kulisse: Es ist einfach da, ohne richtig bemerkt zu werden, wie ein Möbel, das allmählich verschleißt, wie ein Vorhang, der immer grauer wird. Die Aufmerksamkeit dafür ist längst verloren gegangen. Wir sind daran gewöhnt. Jeden zweiten Tag gießen, das hat man schon schablonenhaft im Rhythmus, und man vergisst, genau hinzusehen, was die Pflanze eigentlich macht. Auch sie scheint die Entwicklung eingestellt zu haben.
Aus solchen verfestigten Mustern, diesen altbekannten, abwechslungslosen Pflanzen, ob grün oder blühend, sollten wir herausgekommen und für neuen Schwung, für neue Farben, Formen und Düfte sorgen. Die Pflanzenwelt hat dies bereits getan, nur bis jetzt weitgehend ohne uns. Die Entwicklung ihrer Vielfalt über die vergangenen fünfzig Jahre zu beobachten, war und ist atemberaubend.
Kunden fragen oft nur nach dem, was sie kennen. Ich betrachte es als meine Aufgabe, sie aus ihren überkommenen Vorstellungen und dem Wissen und ihrer Pflanzenaffinität der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre herauszuholen, oder sagen wir besser: Ich versuche, sie dort abzuholen, indem ich ihnen Weiterentwicklungen zeige, die unser Land zwar schon seit Jahrzehnten erreicht haben, die sich aber mangels Nachfrage immer nur in den hintersten Ecken der Blumenläden versteckt haben. Ich zeige ihnen auch ganz Neues, das erst in den vergangenen Jahren aus fremden Ländern bei uns Einzug hielt.
Die Menschen, meine Kunden, aber auch meine Angestellten, sollen sich bewusst werden: Es hat etwas stattgefunden
in den vergangenen fünfzig Jahren, das viele Leute noch gar nicht bemerkt oder gesehen haben. Dass wir die Welt erobert haben, nicht ich als Gärtner und nicht kriegerisch oder mit Gewalt, sondern »globalisierend«, durch Handelsbeziehungen und Völkerverständigung, durch Tourismus, weltweiten kulturellen Austausch und schnelle Verkehrsverbindungen. Damit hat sich das zu einer bestimmten Zeit bestehende Pflanzenwissen erweitert, die Menschen können etwas über die Nutzung und vor allem auch die Freude an den Pflanzen dazulernen, wenn sie sich das Neue, Fremde, Überraschende aneignen.
Früher waren es die Reisenden und Entdecker fremder Länder und Kontinente, die neben Gewürzen und Gold, Edelsteinen oder anderen Bodenschätzen auch neue Pflanzen in die alte
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