Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
klang für mich wie etwas, das man in ein Taschentuch hustete und dann diskret im Müll entsorgte. Schon mehrmals hatte ich mir diese Anrede verbeten. Natürlich wurde meine Bitte ignoriert.
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte Artjom lakonisch, »ist doch besser als dieses Hasi-Mausi-Pupsi, oder?« Wenigstens er respektierte meinen Wunsch. Rostislav ließ sich nicht beirren. Immerhin hatte er dieses Diminutiv für mich erfunden, und er war stolz darauf. Deshalb verwendete er es, wann immer sich die Gelegenheit bot.
Ich hatte mich oft gefragt, womit mein Schwiegervater den ganzen Tag beschäftigt war. Beschäftigt war er, daran gab es keinen Zweifel. Immer war er auf dem Sprung, eilte von einem Meeting zum nächsten Treffen, so erzählte er, »Bisness, Bisness«.
Ein wenig hatte ich ihn im Verdacht, dass das Bisness vorgeschoben war, um Daryas Fängen zu entkommen. Denn auch daran gab es keinen Zweifel: In dieser Ehe hatte nur eine das Sagen. Rostislavs Funktion als Gatte bestand hauptsächlich darin, seiner Frau die Wünsche von den Augen abzulesen, sie in seinem altersschwachen Kombi von A nach B zu kutschieren und auf ihren Shopping-Touren die schweren Tüten zu tragen. Alle relevanten Entscheidungen traf Darya. Wie eine Königin thronte sie in ihrer Datscha und gab Anweisungen an das Fußvolk. Ich bewunderte sie dafür. Die hat ihren Mann im Griff, dachte ich, was man von mir nicht gerade behaupten kann.
Sie hatte nicht nur Rostislav im Griff, auch Artjom war immer wieder damit beschäftigt, Besorgungen für seine Mutter zu machen, Informationen zu beschaffen und Telefonate für sie zu führen.
»Warum macht sie das nicht selbst?«, fragte ich.
»Wie denn? Sie spricht kaum Deutsch.«
»Soll sie’s halt lernen.«
Ich hatte verschiedene Vorstöße gewagt und Darya sogar ein Programm der Volkshochschule in die Hand gedrückt. Fragend sah sie mich an.
»Da gibt es Deutschkurse«, erklärte ich.
Sie zuckte die Schultern. Und Artjom regte sich auf.
»Du kannst doch meine Mutter nicht in die Volkshochschule schicken!«
»Warum nicht?«
»Paula, ich bitte dich, da sitzt sie dann mit irgendwelchen Aussiedlern zusammen. Das ist nun wirklich nichts für Mam.«
Aha, dachte ich, Madame mag’s exklusiver, und besorgte Flyer von kleinen, feinen und sehr teuren Sprachschulen. Es folgten die hanebüchensten Argumente, warum sie auch dort kein Deutsch lernen konnte.
»Sie ist zu alt dafür.«
»Was für ein Quatsch, Artjom. Schau dir mal Alexej an, der lernt ohne Probleme.«
»Da sind fremde Menschen. Das traut sie sich nicht. Sie ist ja eher schüchtern.«
»Was ist sie? Schüchtern? Das hat sie bis jetzt aber gut zu verbergen gewusst.«
»Der Kurs beginnt schon um zehn Uhr morgens. Wie soll sie das denn schaffen? Und wie soll sie überhaupt dahin kommen?«
»Wie wär’s mit Weckerstellen und U-Bahn-Fahren?«
Es half alles nichts. Je mehr ich insistierte, desto verstockter wurde Darya. Ich gab auf, und sie hielt uns weiterhin alle auf Trab.
Und Rostislav verschwand weiterhin zu seinen Terminen. Niemand konnte ihm das ernsthaft übelnehmen. Es ging mich eigentlich nichts an, womit mein Schwiegervater seine Zeit verbrachte oder wie er sein Geld verdiente. An die Version vom erfolgreichen Stoff-Im- und Exporteur glaubte ich allerdings schon länger nicht mehr. Aber ich hatte gelernt, keine überflüssigen Fragen zu stellen. Ich wollte es auch gar nicht so genau wissen.
»Mist, ich hab die Akte in der Kanzlei vergessen.«
Schwerfällig rollte ich mich vom Sofa und schaute auf die Uhr. Schon nach elf. Artjom grunzte behaglich und griff nach mir.
»Du willst nicht etwa jetzt noch mal los?«
Nein, das wollte ich nicht. Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Gleich morgen früh sollte ich ein Schlichtungsgespräch zwischen zerstrittenen Nachbarn führen. Eine georgische Familie lag im Clinch mit den Russen, die ein Stockwerk über ihnen wohnten. Man warf sich gegenseitig Ruhestörungen vor, Verunreinigung des Treppenhauses und andere Lappalien. Bei den ersten Vorgesprächen hatte ich herausgehört, dass der eigentliche Konflikt tiefer liegen musste. Die eine Seite vertrat den Standpunkt, dass Wladimir Wladimirowitsch Putin ein Verbrecher sei, der danach trachte, das georgische Volk zu unterdrücken, die andere Seite skandierte »Alle Georgier sind schwul« und »Freiheit für Südossetien«.
Artjom hatte mir eine kleine Geschichtslektion in Sachen Kaukasus-Konflikt erteilt, und ich wusste,
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