Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
ein – »Voll krass, das war so viel, damit hätten die Krieg führen können!« – und luden das Arsenal in den versteckt geparkten Bully. Anschließend fuhren sie zur Elbe – »Nee, das könnt ihr euch abschminken. Ich sag nicht, wo!« – und versenkten ihre Fundstücke im Wasser.
Zufrieden blies der junge Mann Rauchkringel in die Luft. »Krasse Aktion, ey. Euer Opa ist echt cool. Woher kommt der eigentlich? Deutscher isser nich’, ne?«
»Aus Russland«, antworteten wir unisono.
»Echt? Russland? Wie krass ist das denn.«
Er tippte sich vielsagend an seine Stirn, die ein dickes Pflaster zierte. »Und nicht auf dumme Gedanken kommen. Ein Kumpel hat die ganze Aktion gefilmt. Auch die Waffen. Können wir sofort auf YouTube stellen. Wir sind quitt, ne?«
Wir nickten ergeben und versuchten, Alexej zu wecken. Er brummte wie ein Bär im Winterschlaf. Zu viert wuchteten wir ihn von der Bank zur Haustür.
»Ist der betrunken, oder was?«, wunderte sich Vater.
»Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund«, rief der Rasta-Mann vergnügt und warf die Tür hinter uns zu.
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18
B is heute weiß ich nicht, wie Vater es schaffte, seine Jagdgesellschaft ruhigzustellen. Aber er schaffte es. Keiner ging zur Polizei, auch die nicht, deren Gewissen rein war und deren Gewehre trotzdem auf dem Grund der Elbe lagen. Vielleicht beschwor er ihren Korpsgeist, vielleicht erkaufte er sich ihr Schweigen. Letztendlich zählte nur eins: Alle hielten die Füße still.
Vater schaffte es außerdem, nur eine Woche auf Alexej sauer zu sein. Dann stand nämlich Deduschka bei ihm vor der Tür, in der Hand eine Flasche guten georgischen Weins, und bat um Verzeihung.
Ein wenig hatte ich ihn dazu überreden müssen, denn eigentlich war sich Alexej keiner Schuld bewusst. Er fand, er habe nur das getan, was jeder vernünftige Mensch in seiner Situation getan hätte.
»So«, fragte ich spitz, »du findest es also vernünftig, meinen Vater und seine Freunde zu sedieren? Mit einem Narkosemittel für Rindviecher? Du hättest sie umbringen können!«
Er schüttelte betrübt den Kopf. So wenig Zutrauen hatte ich also in seine medizinischen Fähigkeiten. Frau Hinrichs dagegen war voller Bewunderung für seine heldenhafte Tat und wurde nicht müde, überall im Haus herumzuerzählen, dass Alexej sich unter Einsatz von Leib und Leben für den Erhalt der heimischen Tierwelt eingesetzt habe.
Ich bat sie, die Geschichte nicht an die große Glocke zu hängen, aber sie wischte meine Einwände beiseite.
»Nichts da, seien Sie stolz auf Ihren Großvater. Männer seines Kalibers gibt’s doch heute kaum noch.«
Zum Glück, dachte ich.
Rostislav ließ das Abenteuer seines Vaters gänzlich unbeeindruckt. Er hatte Wichtigeres zu tun. Er plante den großen Familienurlaub. Täglich überraschte er uns mit neuen Reisezielen.
»Seychellen!«
»Zu weit weg«, urteilte ich.
»Dubai!«
»Zu viel Sand«, sagte ich.
»Malediven!«
»Zu teuer«, maulte ich. »Wer soll das denn bezahlen?«
»Ich chab Gäld«, antwortete er generös.
»Na, dann zahl doch mal die Restaurantrechnung«, ranzte ich ihn an und hielt ihm die dritte Mahnung des »Baku« unter die Nase. Der Wirt hatte sie vorsorglich auch an mich geschickt, da ihre Vorgänger bei meinem Schwiegervater aus unerfindlichen Gründen verlorengegangen waren.
»Oh!« Er starrte erstaunt auf den Brief, als sähe er ihn zum ersten Mal, und meinte, dass es eine Frechheit sei, mich damit zu belästigen. Dem Wirt würde er was erzählen!
»Erzähl nichts, zahl die Rechnung! Mehr will der arme Mann doch gar nicht.«
»Gutt, gutt. Abärr, Poletschka, was mainst du – Hawaii?«
»Nein!«
An die russische Sitte, jeden, der einem ans Herz gewachsen war, mit einem aus seinem Vornamen abgeleiteten Kosewort zu bedenken, hatte ich mich immer noch nicht gewöhnt. Artjom wurde von seiner Mutter oft Artjomschik genannt, ich assoziierte mit dem Begriff unwillkürlich einen Atompilz und fand, dass der Vergleich gar nicht so weit hergeholt war.
Darya ihrerseits war Dascha, Rostislav mutierte zu Rostik oder auch Rostja, Alexej war Aljoscha und, wenn man es besonders gut mit ihm meinte, Aljoschenka. Lena hieß in Wirklichkeit Jelena und Mischa Mikhail. Und jeder fand das gut. Mehr noch, einen Familienangehörigen oder engen Freund mit seinem normalen Namen anzusprechen, wurde fast als unhöflich empfunden.
Ich hatte es schon als Kind gehasst, wenn mich jemand Pauli oder Paulchen nannte. Poletschka nun
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