Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
er mir despotisch aufgebürdet hatte, mit dieser Hektik, die er im Haus verbreitete, und je mehr das Haus von der Mönchsrobbe auf Hochglanz gebracht wurde, desto mehr wuchs die Anspannung in der Luft wie eine fleischfressende Pflanze, die sich an meiner strahlenden Jugend sattfressen wollte. Nervös hatte ich den Minimarkt betreten. Ich hatte – natürlich brillant – auf die absurden Attacken einer Feinkostverkäuferin geantwortet, die offensichtlich frustriert war über die Fähigkeiten ihres Freundes im Bett. Aber dann war ich zusammengebrochen. Bestimmt nicht wegen der Ohrfeige − einer wie ich! − sondern wegen des Klumpens aus Ängsten, den ich nun schon seit Tagen in meinem tiefsten Inneren mit mir herumtrug. Dieses verfluchte Sonntagsmittagessen! Ja, das hatte mich fertiggemacht. Anders war die Sache nicht zu erklären.
Darüber dachte ich nach, als ich aus dem Laden heraus war und über die kürzlich asphaltierte Straße ging, die auf den kleinen Platz mitten im Ort führte. Hoffentlich begegnete mir niemand, der bei meinem Ohnmachtsanfall dabei gewesen war. Ich hätte es nicht ertragen, wenn irgendeine künstlich besorgte Hausfrau angekommen wäre, um sich zu erkundigen, wie es mir ging, und mich mit pornographischen Blicken von Kopf bis Fuß abzutasten.
Ich setzte mich auf eine Bank, den Hintern auf der Rückenlehne, und steckte mir eine Fluppe an. Auf der anderen Seite des Platzes zog sich Ritucci Valerio, neunundzwanzig Jahre, den zigsten Joint des Tages rein, auf der Erde liegend, den bleigrauen Himmel in den verblödeten Augen. Um uns herum war alles tot. Alles wandernde Leichen. Jeder schleppte sein behaartes Gemächt von einem Ort zum anderen, ohne nachzudenken, ohne auf etwas zu hoffen, langsamen Schrittes, während er darauf wartete, an einem Herzinfarkt oder durch einen Verkehrsrowdy zu krepieren oder zu Hause an Langeweile, allein gelassen unter einem bescheidenen Leichentuch, wo er sterbend sinnlose Worte ins Leere stammelte.
Ich beobachtete Ritucci Valerio, der jetzt nicht mehr auf der anderen Seite des Platzes am Boden lag, sondern in meine Richtung wankte, ein dämliches Lächeln im Gesicht, das seine Züge entstellte, die Hand zum Gruß erhoben. Ja, das war er, unser Dorftrottel. Seine Lebensgeschichte war voller Frustrationen und Entbehrungen – ein Vater, der bei der Arbeit gestorben war, eine frühzeitig ergraute Mutter, die als Küchenhilfe in den Villen des Bürgertums arbeitete, irgendeine Geschichte mit einer Frau, die nicht gut ausgegangen war, vielleicht eine gescheiterte Ehe –, macht zusammen den Abgrund eines Mannes, der sich aufgibt, Alkohol und Drogen als einzige Gesellschaft. Ein Individuum, für das ich nur noch Mitleid empfinden konnte.
Als er sich meiner Bank auf weniger als zwei Meter genähert hatte, sagte er: »Hey! Wie geht’s?«
Was zum Henker wollte dieser Versager von mir?
»Hey!«, antwortete ich. »Alles okay.«
Ich roch den süßlichen Gestank des Rauches, der ihn andauernd umgab.
»Ganz allein?«, fragte er in anbiederndem Ton. Ein borstiger, ungepflegter Bart verunstaltete sein Gesicht. Zwei Tränensäcke aus blassem, feuchtem Fleisch schienen die Luft um Almosen anzubetteln. Er fragte, ob ich der sei, für den er mich hielt. Der war ich.
»Dein Vater ist schwer in Ordnung!«, rief er aus.
»Eine Klasse für sich!«, sagte ich.
»Wenn wir uns treffen, bietet er mir immer was zu trinken an …«
»Da bist du bei mir an den Falschen geraten, mein Guter. Aber total.«
Er glotzte mich eine Weile mit schiefgelegtem Kopf an. »Ich hab ja gar nicht gefragt.«
»Ich weiß, ich wollte das nur klarstellen …«
»Okay, okay«, brummte er. »Von wegen einladen.« Er blickte sich nach allen Seiten um, dann holte er etwas aus seiner Jackentasche. Er kam näher und zeigte es mir.
»Willst du?«
Es war ein Klumpen Hasch, etwa so groß wie ein Würfel, schwarz, ungeschickt mit dem Papier des Bauli-Weihnachtskuchens verpackt.
»Was soll ich damit?«
»Es rauchen.«
»Ich rauche schon.«
»Scheiße!« Er grinste. »Willst du was?«
»Kein Interesse.«
Er schloss die Faust um den Würfel. »Woher weißt du, dass es dich nicht interessiert?«
»Mir reicht ein Blick auf dich.«
Er guckte an sich runter. »Wieso? Was ist mit mir?«
»Ich muss jetzt gehen.« Ich stieg von der Bank.
»Warte!«
»Ich muss gehen!« Ich schüttelte seine schweißige Hand von meiner Schulter.
Als ich ein paar Schritte von ihm entfernt war, sagte er: »Ich hab dir nichts
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