Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
einer Wand hingen zwei große runde Zielscheiben.
Ich öffnete die Tür und trat ein. Es gab ein nicht mal besonders lautes Klingeln. Doch etwa dreißig Menschen hörten auf, das zu tun, was sie gerade taten, und das Stimmengewirr verstummte schlagartig.
Wie damals in der Schule an dem Tag, an dem ich Schwarzy fertiggemacht hatte, drehten sich die Gesichter aller Anwesenden eines nach dem anderen in meine Richtung. Warum musste ich mich bloß immer in so beschissene Situationen bringen? Dann sah ich sie an einem Ecktisch. Chiara und Tony Champion, nebeneinandersitzend. Sie war hinreißend, aber natürlich auch ein bisschen naiv, weil sie sich immer noch mit diesen Leuten abgab. Um sie herum saß die übliche Clique. Ich sah Federico, den Pusher, und Moderzahn.
Ausgerechnet der unterbrach das Schweigen, indem er mir zurief: »Hallo Näschen!«
Ein allgemeines Gelächter brach los, das ich wie einen Hagel spitzer Nadeln auf der Haut spürte. Alle lachten, außer Chiara und ihrem Tony. Alles schlug sich grölend gegenseitig auf den Rücken.
Ich blieb ruhig, wartete ab, bis sie sich ausgetobt hatten, und sagte dann: »Wenigstens ist meine Nase noch da, im Gegensatz zu deinen Zähnen.«
Er grinste nicht mehr. Chiara beobachtete ihn alarmiert. Jemandem entwischte noch ein Lacher, den er sofort erstickte. Hosenscheißer, alle miteinander, aber das wusste ich ja schon.
Gedemütigt knurrte Moderzahn: »He, Arschloch, pass auf, was …«
»Halt’s Maul!«, unterbrach ihn Tony Champion im resoluten Ton des Anführers.
Moderzahn drehte sich zu ihm um.
Mit zusammengepresstem Kiefer schüttelte Tony den Kopf.
Alle hielten den Atem an.
Da klingelte das Glöckchen, und die Tür ging auf. Zwei alte Männer kamen gutgelaunt herein. Einer, dem das Hörgerät an der Ohrmuschel baumelte, fragte mit lauter Stimme: »Was ist, wird hier jetzt Dart gespielt?«
Moderzahn stand auf, ging quer durch den Raum auf mich zu und blieb einen Augenblick stehen, um mir in die Augen zu sehen. Er suchte seinen ruhmreichen Moment an diesem Abend, aber der Ruhm war ein Verräter und gehörte nur harten Kerlen wie mir.
»Wir sehen uns, du und ich«, sagte er.
Ich schnalzte nickend mit der Zunge.
»Du und ich«, wiederholte er. Und ging raus.
»Und wer übernimmt jetzt seinen Platz?«, fragte der Barmann.
Es stellte sich heraus, dass Moderzahn für das Dartturnier eingeschrieben war. Mit seinem frühzeitigen Abtritt von der Bühne waren aus den sechzehn Eingeschriebenen fünfzehn geworden, damit würde ein Achtelfinale ausfallen.
Der Alte mit dem Hörgerät wurde ärgerlich. »So geht das aber nicht!«, brummte er, und seine Kuhaugen verdunkelten sich. »Seit einem Monat warte ich auf das Spiel, Herrgott noch mal!«
»Tja«, machte der Barmann. »Wir könnten einen direkt ins Viertelfinale einsteigen lassen und …«
»Nee-nee-nee!« Der Alte schüttelte den räudigen Kopf. »Das funktioniert ja nun gar nicht!«
Ich warf einen Blick auf die Tafel mit den Namen der Teilnehmer und las Tonys Namen.
»Ich spiele!«
Stille. Wieder richteten sich alle Blicke auf mich. Und wieder ertönte ein lautes allseitiges Gelächter, in das Chiara diesmal einstimmte. Ich lächelte verächtlich. Sie versuchten, mich zu verletzen, aber es gelang ihnen nicht. Ich war aus Schwermetall.
Sie schüttelte den Kopf, doch in ihrem Blick las ich deutliche Anzeichen für eine Bewunderung, die sich unmöglich verbergen ließ.
»Angenommen!«, brüllte der Alte mit dem kahlen Kopf. Der Barmann fragte nach meinem Namen und schrieb ihn auf die Tafel.
Während ich wartete, bis ich an der Reihe war, setzte ich mich an einen Tisch hinter Chiara, die mit allen Mitteln versuchte, mich zu ignorieren, indem sie zuckersüß mit Tony und anderen Ohrfeigengesichtern in der Umgebung schleimte. Ich entschied, dass sie meine Aufmerksamkeit nicht verdiente, also ließ ich mein mordlüsternes Lächeln ersterben und wandte meinen supersexy Blick dem kleinen Fernseher zu, der neben einem Regal mit einigen lumpigen Pokalen für Skat- oder Würfelturniere oder andere Freizeitvergnügungen für Altersheime an der Wand hing. Auf dem Bildschirm redete und gestikulierte George Bush in ein langes Mikrophon. Der Irak war in Kuwait einmarschiert, wo das Erdöl aus dem Boden schoss wie bei uns die Christdemokraten. Die Amerikaner waren stinksauer und drohten mit Vergeltung. Bush und seinen Leuten passte es nicht, dass ein freies Volk von einem schnauzbärtigen afrikanischen Diktator
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