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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frascella
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ausgerechnet wir beide uns gegenüber. Ich starrte lange auf die Tafel, dann drehte ich mich um, und er war schon in der Wurfposition, die winzigen Pfeile in der mächtigen, gepflegten Pranke. An seiner Seite stand Chiara. Sie war jetzt immer an seiner Seite.
    »Sieh mal einer an«, sagte Tony, und sein Lächeln strahlte heller als der Augustabend.
    »Tja«, sagte ich. »Jetzt kriegst du wieder Angst, oder?«
    Im Hintergrund fing jemand an zu lachen. Chiara sagte: »Diesmal bringe ich dich nicht ins Krankenhaus. Merk dir das.«
    Gelächter. Mir kam der Verdacht, dass es vom Band abgespielt wurde wie in den amerikanischen Sitcoms.
    Ich spannte den Kiefer an. Fixierte Chiara. Und sie musste meinen intensiven Blick gespürt haben, denn sie senkte die Augen und beschäftigte sich mit dem Anzünden einer Zigarette. Beide wussten wir, dass das, was meiner Nase widerfahren war, nur uns zwei betraf. Tonys Rolle in der ganzen Geschichte war völlig nebensächlich.
    »Spielen wir?«, fragte er.
    »Lass uns spielen, Champion.«
    Ich ließ mir die Pfeile reichen, dann stellte ich mich neben dem Mythos auf. Ringsumher herrschte ein tiefes, erregtes Schweigen.
    Löffel ans Glas.
    Los!
    Knall auf der Scheibe. Applaus, aber nicht für mich: Tony hatte sauber in die Neunzig getroffen. Ich gerade mal eben eine Sechzig.
    Komplimente und höhnisches Gelächter flogen hin und her.
    »Ruhe!«, schrie ich.
    »Steig lieber aus!«, riet mir Federico, der Pusher. Der zahnlose Alte und der Taube – der ins Halbfinale gekommen war –, brabbelten miteinander, ohne sich zu verstehen.
    Löffel. Glas. Wurf.
    Scheiße! Er achtzig und ich siebzig.
    Chiara schüttelte den Kopf, ihre Augen glänzten.
    »Du bist vierzig im Rückstand!«, schrie der taube Alte.
    »Danke, Einstein«, sagte ich, aber er konnte mich ja sowieso nicht hören.
    Tony brachte sich mit ernster Miene in Position. Ich beobachtete ihn. Er hatte etwas zu Perfektes. Und er schien mir nervös.
    Wir warfen: ich neunzig und er achtzig.
    »JA, SO!«, jubelte ich. »Dreißig im Rückstand!«
    Ich zwinkerte Chiara zu, mühsam hielt sie den Schluck Bier im Mund, den sie gerade trinken wollte. Sie war beschwipst, und sie war sexy.
    »Na, fängst du an zu schwächeln?«, fragte ich Tony.
    Scheinbar ohne aus der Fassung zu geraten, sah er zum Barmann hin. »Mach weiter!«, rief er ihm zu.
    Mit Händen zu greifende Spannung.
    Tick.
    Vierter Wurf. Unsere Pfeile schwirrten gleichzeitig los. Das Ergebnis aber war unterschiedlich: er siebzig, ich neunzig.
    »Scheiße«, riefen die Leute. »Näschen hat nur noch zehn Punkte weniger!«
    »Wie ist das möglich?«, fragte ich Tony. »Warst du nicht die Nummer eins in jeder Sportart?«
    Jetzt lief er rot an. »Darum werde ich jetzt auch gewinnen.«
    »Ich wette, deine Hand zittert …«
    Er beachtete mich nicht. Machte sich zum Wurf bereit. Eine Marmorstatue.
    »Vorwärts, Tony!«, feuerte Chiara ihn an.
    Löffel.
    Glas.
    Tick.
    Bevor ich meinen Wurf kontrollierte, warf ich einen Blick auf seine Scheibe: achtzig. Scheiße. Ein Getöse brach los. Aber wegen der Enttäuschung.
    Denn ich hatte meine Scheibe in ihr rundes, schwarzes Herz getroffen: hundert!
    Ich fiel auf die Knie, die Arme zum Himmel erhoben. »Gewonnen!«, schrie ich. »GEWONNEN!« Zehn Punkte mehr, nachdem ich so schlecht angefangen hatte. Ich hatte die Kontrolle über mich nicht verloren. Obwohl ich gegen alles und alle gespielt hatte. Mitten im Reich des Königs. Vor seinen Vasallen.
    »GEWOOOONNEN!«
    Gegen alle Vorhersagen.
    Wider alle Erwartung.
    Tony ging eilig zu seinem Tisch. Während ich noch die Arme zum Himmel reckte, verfolgte ich aus dem Augenwinkel, wie Chiara auf ihn zuging. Aber das war mir egal.
    Ich war der Champion.
    Im zweiten Halbfinale traten der taube Alte und einer von Tonys Arschkriechern gegeneinander an, ich versuchte nicht einmal, seinen Namen zu erfahren. Ein paar Würfe schaute ich mir an, bemerkte die Präzision des Alten, die Inbrunst, mit der er bei der Sache war.
    »Trotzdem: Kompliment«, sagte Tony zu mir, als ich an ihrem Tisch vorbeiging. Er streckte mir seine Hand entgegen, wie der besiegte Boxer dem ungeheuren Oscar Moya seinen Handschuh reichte. Ich schüttelte sie hochzufrieden. Chiara bekam einen meiner bohrenden Blicke, und zu ihm sagte ich: »Kompliment auch meinerseits. Aber jetzt habe ich dir gezeigt, dass ich dich bei gleichen Waffen schlagen kann, wann immer ich will.« Und ich zeigte auf meine Nase. Die beiden sahen sich verblüfft

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