Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
den Chef. »So still war er noch nie.«
»Er hat Angst, dass wir ihn aus dem Haus werfen.« Der Chef sah mich nicht an.
»Warum«, fragte sie lächelnd, während sie mich aus dem Augenwinkel beobachtete, »war das denn nicht so geplant?«
Stille. Bleierne Stille.
Schließlich fingen Francy und Vì an zu lachen.
Ich lehnte mich zurück. »Das macht mir keine Angst.« Ich sah sie scharf an. »Mir ist scheißegal, was ihr denkt.«
Dann nahm ich den Chef ins Visier.
Er hob die Augen und versuchte einen seiner Schlagbohrerblicke, die ich früher so gefürchtet hatte. Nach einem zähen Moment schien er zu spüren, dass jetzt ein anderer Wind wehte, denn zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, senkte er die Augen. Der Chef hatte kapituliert.
Am nächsten Morgen war ich wieder bei der Trak. Wieder hatte man mich an die Schneidepresse gestellt. Nach dem ersten Tag in der Fabrik tat mir alles weh. Am Morgen war ich mit dem Gefühl aus dem Bett gekrochen, auf meinem Rücken – in den schon meine Mitbewohner hinterrücks einen Dolch gestoßen hatten – marschiere eine ganze Abteilung US-Marines.
Beim Betreten der Fabrik hatte ich mit niemandem gesprochen. Die Molisaner hatten mich nach meiner Fußballerkarriere gefragt, aber inzwischen war mir die Lust auf solche Albernheiten vergangen.
»Kniebänder im Arsch«, hatte ich nur gesagt. »Karriere beendet.«
Ich hatte sie mit ihren erstaunten und betroffenen Mienen an den Spinden stehenlassen und war, umhüllt vom Aasgestank, in die Hosen und das T-Shirt mit dem grellen Trak-Logo geschlüpft.
Giulio hatte die Molisaner an die Ritelli, die grüne Linie, geschickt, wo wir gestern nur Frauen hatten arbeiten sehen. Die durften jetzt unter übertriebenen Freudenbekundungen fast alle an die Automatischen gehen. Ärgerlich reagierte nur die Bionische, die die Pressenstraße mit zu vielen Neulingen leiten musste und dabei riskierte, unter ihr Produktionssoll zu fallen. Nur zu mir sagte Giulio in neutralem Ton: »Geh dahin, wo du gestern warst«, ohne noch etwas hinzuzufügen, ohne römischen, ohne Bergamasker Gruß, ohne gar nichts.
Doch um die Mitte der zweiten Arbeitsstunde sah ich ihn lächelnd ankommen. »Kamerad! Arbeite weiter, während ich mit dir rede, und kein einziger Blick in Georges Richtung!«
Ich nickte ruhig und schnitt meine Teile, ohne einen zusätzlichen Muskel zu rühren.
»Ich rede jetzt Klartext mit dir«, fuhr er fort.
»Okay.«
»Du bist mir sofort aufgefallen. Hast du wahrscheinlich gemerkt. Meiner Meinung nach hast du was drauf, und das nicht nur, weil wir beide an die glühende Flamme glauben, die alles erwärmt und ewig strahlt.«
»Natürlich!«, rief ich aus.
»Was ich dir jetzt sage«, fing er wieder an, »musst du für dich behalten.«
Energisches Nicken. Ich war das Inbild der Neugier.
»George ist zu alt und zu afrikanisch, um noch länger an der Tiefziehpresse zu stehen. Er hat nicht mehr den Schwung von früher.«
»Mir kommt es nicht so vor, als würde er einen Moment lang nachlassen.«
Giulio zeigte auf ein Stück. »Früher hat er davon sechshundert Stück in der Stunde gemacht.«
Ich versuchte, mir das vorzustellen. Schon jetzt konnte man kaum mit ihm mithalten … Zweihundert Stück mehr in einer Stunde. Verflucht!
»Sechshundert«, wiederholte Giulio. »Rechne dir mal aus, wie stark der Durchschnittsausstoß gesunken ist.«
»Hm.«
»Immer haben wir den anderen beiden Schichten gezeigt, was eine Harke ist. Dann hat George, weiß der Henker warum, etwas getan, was wir niemals erwartet hätten: Er ist in die Gewerkschaft eingetreten. Und dann noch was: Letzten Sommer ist er nach Burundi oder Bikini Faso oder wohin auch immer verreist, aber statt zwei Wochen Ferien zu machen, wie alle anderen, mich eingeschlossen, ist er mit DREI TAGEN VERSPÄTUNG zurückgekommen.«
»Wahnsinn!«
»Probleme mit dem Flugzeug, hat er gesagt. Die Werksleitung war stinksauer, Collura war stinksauer und ich auch. Kannst du dir das vorstellen? Drei Tage Verspätung!«
»Inakzeptabel!«
»Und er hat sogar die Frechheit besessen, beleidigt zu reagieren! Von dem Moment an hat er den stündlichen Ausstoß um zweihundert Stück reduziert.«
Ich wollte einen künstlichen Lacher loslassen, der mir aber im Hals steckenblieb, denn die wachsende Angst schnürte mir die Kehle zu.
»Dann habe ich versucht, ihn zu ersetzen. Aber alle anderen, die ich an seinen Platz gestellt habe, sind auch Gewerkschaftsmitglieder. Alle Leute, denen wir Arbeit geben, sind
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