Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
wusste, was ich mit meinem Gesicht und meinen Händen anfangen sollte und der riesigen Wahrheit, dass Dad ein Alkoholiker war.
Ich bin erst fünfzehn , sagte Jas plötzlich laut, machte die Augen auf und schaute mich mit wildem Blick an. Und du willst echt an diesem blöden Wettbewerb teilnehmen , fragte sie. Ich nickte, und nach einer kurzen Pause sagte meine Schwester Okay .
17
Die letzte Woche vor den Ferien war übel. Sunya redete nicht mit mir, und Daniel schmiss mir Schneebälle ins Gesicht und stopfte Eisstücke in mein T-Shirt, und alle anderen kriegten Weihnachtspost, nur ich nicht. In der Bücherei gab es einen Briefkasten, in den man seine Post werfen konnte, und nach dem Unterricht wurde sie ausgetragen. Der Direx setzte dann eine Weihnachtsmannkapuze auf, kam rein und sagte Ho ho ho . Dann las er die Namen auf den Zetteln und Karten vor, und es gab immer viele für Ryan und für Daniel und auch ein paar für Sunya. Das fand ich zuerst komisch, weil sie in den Pausen immer alleine auf dem Spielgelände stand. Aber dann sah ich, dass sie immer mit Filzer geschriebene Din-A-4-Blätter bekam, auf denen mit ihrer Handschrift Superhelden unterschrieben hatten. Sie schickte an sich selbst einen Brief von Batman, einen von Shrek und einen vom grünen Kobold, von dem jeder weiß, dass er Spider-Mans schlimmster Feind ist. Den legte sie neben ihr Federmäppchen, damit ich ihn auch ganz bestimmt sah.
Seit dem Elternabend haben wir nicht mehr miteinander geredet, und sie leiht sich auch meine Buntstifte nicht mehr aus. Ich würde ihr so gern von der Talentshow erzählen und unserem Plan, einen Brief an Mum zu schicken und Dad eine Nachricht zu schreiben, damit sie beide am fünften Januar ins Palace Theatre in Manchester kommen würden. Ich würde ihr gern unseren Song vortragen und unsere Tanzschritte zeigen und ihr erklären, dass damit alles gut werden wird. Wenn Mum erst wieder da ist und Dad nicht mehr trinkt und sie Rose vergessen haben, wird Dad viel zu glücklich sein, um Sunya zu hassen. Vielleicht findet er es dann immer noch nicht toll, dass wir Freunde sind, aber Mum sagt bestimmt Lass die beiden doch in Ruhe , und Sunya darf zu mir kommen und zum Abendessen bleiben. Dann essen wir zusammen Pizza Hawaii, und Mum und Dad denken nicht mehr daran, dass sie Muslimin ist.
In zwei Tagen ist Weihnachten. Ich glaube nicht, dass es am 24., 25. oder 26. Dezember Post gibt, und heute Morgen kam nichts außer einem dieser traurigen Briefe, in denen steht, dass man an die hungernden Menschen in Afrika denken soll, während man seinen Truthahn isst. Ich will versuchen, sie nicht zu vergessen, wenn ich mein Weihnachtsessen futtere. Dieses Jahr gibt es Sandwiches mit Huhn, weil Jas das Essen macht. Ich glaube, den Spendenleuten ist es egal, was ich esse, Hauptsache, ich vergesse dabei nicht die Hungernden.
Wenn es über Weihnachten keine Post gibt, kann aber trotzdem morgen noch ein Geschenk von Mum kommen. Ich versuche, mich darauf zu freuen. Ich versuche, mir ein großes Paket auf der Fußmatte an der Haustür vorzustellen, aber jedes Mal wenn ich an eine Karte denke, auf der in großen Buchstaben Frohe Weihnachten steht, kriege ich dieses komische Flackergefühl, das mir Angst macht. Das geht jetzt nie mehr richtig weg.
Ich fragte Mrs. Farmer, wie lange vorher sie den Direx um Erlaubnis fragen muss, wenn sie einen Tag freinehmen will. Sie schaute ärgerlich, weil ich sie ansprach, und guckte zum Pinnbrett rüber, als sei ich schuld an den Kaffeespritzern auf den Engeln. Nach einer Weile sagte sie Wenn es sehr wichtig sein sollte, kann ich auch sofort freinehmen. Und nun geh raus spielen und hör auf, dumme Fragen zu stellen .
Wenn es sehr wichtig sein sollte . Die Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie schwirrten mir im Hirn herum, und mir wurde ganz schwindlig davon. Wenn wir einen Aufsatz schreiben sollten, rührte mein Füller sich nicht vom Fleck, in Mathe schrieb ich einfach irgend ein paar Zahlen hin, und in Kunst zeichnete ich die Lämmer größer als die Schäfer, weil ich mich nicht konzentrierte. Mein Bild sah aus, als wollte eine Herde Monsterschafe die Krippe niedertrampeln.
In der Weihnachtsfeier führten wir – was ein Wunder – das Krippenspiel auf, und ich durfte zum ersten Mal einen Menschen spielen. Ich kriegte die Rolle von dem Mann, der Kein Platz in der Herberge sagt, aber da von meiner Familie niemand zuschaute, war das auch egal. Jas schaffte es nicht rechtzeitig von der
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