Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Sunyas Mum, aber ihre Stimme klang zittrig, und ich wusste, dass sie Angst hatte. Ich dachte an den Ringelstrohhalm in meinem Schoko-Milchshake und hasste Dad, weil er Sunyas Mum Angst machte. Echte Muslime würden niemals jemandem etwas zuleide tun. Nur weil sich jemand Muslim nennt … , sagte sie, aber Dad brüllte SEIEN SIE BLOSS STILL . Er zitterte jetzt, und sein Gesicht war purpurrot. Schweißtropfen liefen an seinen Schläfen runter. Er schrie irgendwas von Terroristen und Alle gleich , und Sunyas Mum drehte den Kopf beiseite, als hätte er sie geschlagen.
Sunya stand vor einer Weihnachtsdekoration und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Schneeflocken aus Silberpapier glitzerten hinter ihr an der Wand. Auf der linken Seite hingen Engel, auf der rechten der Weihnachtsmann mit dickem Bauch und roter Jacke. Geschenke quollen aus dem schwarzen Sack. In der Mitte waren eine Maria aus blauem Karton und ein Josef aus braunem Karton und ein Jesuskind, aber die Pappe war zu rosa, um als Haut durchzugehen. Es machte mich traurig, Sunya vor all diesen Weihnachtssachen zu sehen, an die sie nicht glaubte und an denen sie keine Freude hatte, und ich dachte daran, dass ihr Gedicht nur vier Zeilen gehabt hatte, weil es im Dezember eben nichts Zauberhaftes für sie gab. Und obwohl Dad immer noch herumschrie und der Wind an den Fenstern rüttelte und der Kaffee plitsch-plitsch vom Tisch tropfte und am Boden eine Pfütze entstand, hörte ich nur Sunyas Worte. Wäre ich doch nur wie die anderen . Und ich wollte zu ihr gehen und ihre Fäuste in meine Hände nehmen und ihr den Klebknetering anstecken und sagen Ich bin froh, dass du nicht so bist wie die anderen .
Eine Träne glitzerte in Sunyas linkem Auge. Sie wurde zu einem dicken silbernen Regentropfen, als Dad brüllte, ihre Familie sei böse . Ich stellte mir vor, wie ich schrie Hör nicht auf ihn . Ich stellte mir vor, wie ich sagte Du bist eben anders, und ich finde das wunderschön . Und ich stellte mir vor, wie ich Dad mir der Faust ins Gesicht schlug, weil er Sunya zum Weinen brachte, und einen Moment lang wollte ich das wirklich tun. Aber dann stand ich bloß da, zitternd und mit klopfendem Herzen, in diesem Spider-Man-Shirt, das viel zu groß war für einen Jungen wie mich.
Der Direx kam herein, und seine glänzenden Schuhe klackten auf dem Boden. Gibt es ein Problem , sagte er. Sunyas Mum sagte nichts, und ich sah nur ihren Hijab, weil sie auf den Boden starrte. Ich wünschte mir, sie würde aufschauen, damit ich mit den Augen Es tut mir leid sagen könnte, aber sie rührte sich nicht. Überhaupt kein Problem , sagte Dad, packte mich an der Hand, zerrte mich zur Tür und nickte dem Direx zu, als hätte es die letzten fünf Minuten gar nicht gegeben. Ich hoffte, dass das Schlimmste jetzt überstanden war, aber als wir den Flur entlanggingen, bohrte Dad seine Fingernägel in meine Hand, und das tat weh. Und ich wusste, dass ich in der Patsche steckte.
Im Auto sagte Dad nichts, und er fuhr so schnell los, dass der Schnee von den Rädern wegspritzte. Als wir auf unserer Zufahrt hielten, zischte Dad Geh rein , und ich sprang aus dem Auto, rutschte auf dem Eis aus, stürmte ins Haus und rannte ins Wohnzimmer. Jas und Leo lagen im Wohnzimmer auf der Couch. Sie waren rot im Gesicht, und ihre schwarzen Kleider waren zerwühlt. Ich dachte, du hättest Elternabend , sagte Jas, und ich sagte Aus und Dad und deutete nach draußen, und Jas schubste Leo mit einem Schrei von der Couch.
Ich hörte, wie Dad den Flur entlangstapfte. Schnell , sagte ich und zerrte an Jas’ Hand. Leo nagte an seinem Lippenring. Die Schritte verstummten. Versteck dich , zischte Jas, und Leo duckte sich hinter die Couch, als Dad ins Wohnzimmer marschiert kam.
Ich bin nicht gut im Versteckspielen. Ich mag keine engen dunklen Räume, weil die mich daran erinnern, dass man unter der Erde begraben sein kann. Deshalb suche ich mir immer blöde Verstecke wie hinter einer Tür oder so. Aber sogar ich kann mich besser verstecken als Leo, der sich nicht mal klein genug machte, um hinter der Couch zu verschwinden. Hinter der Armlehne guckten seine grünen Haarstacheln raus, und man sah seine schwarzen Stiefel.
Als Dad ihn entdeckte, wurde sein Gesicht dunkelrot, und er brüllte Steh auf . Leo dachte scheinbar, dass er nicht gemeint war. Er hielt nämlich die Luft an und kniff die Augen zu, als sei er gar nicht da. Aber dann marschierte Dad hinter die Couch, packte Leos T-Shirt und zerrte daran. Leo rappelte
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