Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Schule, und Dad lag seit dem Elternabend im Bett. Zuerst hatte Sunya die Rolle der Maria gespielt, aber wenn sie auf die Herberge zuging, stöhnte sie immer und hielt sich den Bauch, als würde sie gleich das Kind gebären. Deshalb zog Mrs. Farmer sie in der letzten Probe vom Stuhl und sagte, sie sollte auf alle viere gehen, sie sei jetzt ein Ochse und müsse ganz hinten im Stall bleiben.
Am letzten Schultag wollte ich unbedingt mit Sunya reden, aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte. Als sie nicht hinschaute, warf ich meinen Bleistift unter ihren Stuhl und wollte sie grade bitten, ihn aufzuheben, als Mrs. Farmer mich vor die Tür schickte, weil ich mit spitzen Gegenständen im Klassenzimmer herumwarf. Du hättest jemandem das Auge damit ausstechen können , sagte sie, was nicht stimmte. Der Bleistift war stumpf, und wenn nicht grade ein unsichtbarer Zwerg da unten rumspazierte, hätte der Bleistift kein Auge treffen können. Als ich wieder reinkommen durfte, lag der Bleistift immer noch neben Sunyas Füßen, aber ich traute mich nicht, danach zu fragen, weil wegen Mrs. Farmer jetzt klar war, dass ich ihn mit Absicht geworfen hatte. Ich musste mein Diagramm mit Füller zeichnen, und es wurde schief, und ich konnte es nicht mehr löschen und werde eine schlechte Note dafür kriegen. Macht aber auch nichts. Was Jas über die Schule gesagt hat, stimmt schon. So wichtig ist die echt nicht.
Am Ende vom Unterricht sagte Mrs. Farmer Frohe Weihnachten und alles Gute fürs neue Jahr. Wir sehen uns dann am siebten Januar wieder . Als die anderen rausgingen, blieb ich im Klassenzimmer und schaute zu, wie Sunya ihre Sachen einpackte. Sie brauchte echt ewig dafür. Zuerst legte sie ihre Bücher ganz ordentlich auf einen Stapel. Dann schaute sie nach, ob die Kappen ihrer Filzstifte richtig saßen und ob die Farben wie im Regenbogen angeordnet waren. Vielleicht wartete sie darauf, dass ich was sagen würde, aber sie summte laut vor sich hin, und Oma sagt immer, es sei unhöflich, jemanden zu unterbrechen. Fünf Haarsträhnen hingen Sunya ins Gesicht, und sie strich sie immer beiseite. Worte wie Schimmernd und Wunderschön und Zauberhaft schwirrten mir durch den Kopf, aber bevor ich was sagen konnte, ging Sunya raus. Sie holte ihren Mantel, und ich folgte ihr, und dann rannte sie den Flur entlang, und ich lief ihr nach, und als sie schon draußen auf der Zufahrt war, schrie ich HEY , und sie blieb stehen.
Das war kein besonders nettes Wort, aber wenigstens hatte Sunya mich gehört. Sie drehte sich um. Es war schon dunkel, und Sunyas Hijab leuchtete im Licht der Straßenlaterne wie Feuer. Ich wollte Fröhliche Weihnachten sagen, aber das feierte sie ja nicht. Deshalb sagte ich Fröhlichen Winter . Sunya sah ein bisschen verwirrt aus, und ich fragte mich panisch, ob sie vielleicht auch andere Jahreszeiten hatte. Sie ging rückwärts immer weiter weg, und ich wollte nicht, dass sie im Dunkeln verschwand, und deshalb schrie ich das Erste, was mir in den Kopf kam. FRÖHLICHEN RAMADAN .
Jetzt blieb sie wieder stehen. Ich rannte zu ihr, streckte ihr die Hand hin und sagte noch mal Fröhlichen Ramadan . Die Worte fühlten sich heiß an in der kalten Luft, und jede Silbe machte Dampfwolken. Sunya starrte mich stumm an, und ich lächelte hoffnungsvoll, bis sie sagte Ramadan war im September . Jetzt hatte ich Angst, dass ich sie beleidigt hatte, aber ihre Augen fingen an zu glitzern, und die Sommersprosse auf ihrer Lippe zuckte, als würde ihr Mund gleich zu lächeln anfangen. Die Armreifen klirrten, als Sunya die Hand hob, und meine Finger wurden zittrig, als ihre Hand sich auf meine zubewegte. Sie war noch zwanzig Zentimeter entfernt. Zehn. Fünf …
Jemand hupte, und Sunya zuckte erschrocken zusammen und keuchte Mum . Sie rannte den Weg entlang und stieg in das Auto. Die Tür schlug zu, der Motor wurde angelassen. Zwei glitzernde Augen schauten mich durch die Windschutzscheibe an, und meine Hand zitterte immer noch, als das Auto in der Dunkelheit verschwand.
Von Jas kriegte ich viele kleine Weihnachtsgeschenke – ein Lineal und einen Radiergummi von Manchester United und ein neues Deo, weil das alte leer war. Sie hatte die Sachen alle verpackt und in eine Fußballsocke von mir gesteckt. Ich hatte ihr einen Fotorahmen aus Karton gebastelt und das einzige Foto von uns beiden reingesteckt, das ich auftreiben konnte. Ohne Mum, Dad oder Rose. Nur ich und Jas, und drumherum malte ich schwarze und rosa Blumen, weil Jas ein
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