Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
wartete und auf Polizisten, die Du bist verhaftet schrien. Aber nichts passierte. Alles war still, und das Mondlicht spiegelte sich auf den weißen Berggipfeln. Ich war frei.
Mir war ganz schwindlig, und ich lachte, und Roger schaute mich an, als sei ich verrückt geworden. Es kam mir vor, als seien mein Kater und ich alleine auf der Welt und könnten alles machen, was wir wollten. Ich tanzte herum und wedelte mit den Händen und wackelte mit dem Po, und keiner sah es. Dann drehte ich mich im Kreis, immer schneller, bis der weiße Schnee mir vor den Augen verschwamm. Ich sprang auf eine Mauer und spazierte darauf entlang und grinste dabei so breit, wie ich es zuletzt bei meinem Siegtor gemacht hatte. Die Karte flatterte im Wind, und ich stellte mir vor, wie Sunya sie las und vielleicht sogar die Stelle küsste, an der Spider-Man stand.
Das gab mir so ein Gefühl, als könnte ich fliegen, und ich sprang von der Mauer und schlug dabei mit den Armen, und einen Moment lang hing ich wirklich in der Luft, bevor ich auf einem Fuß landete. Mein Blut sprudelte wie Cola bei einer Party, und mein Körper kribbelte, und ich hatte mehr Energie als je zuvor in meinem Leben. Roger sagte Miau , und ich antwortete Ich weiß, was du meinst , und sagte ihm, dass wir uns im Haus wiedertreffen würden. Ich küsste ihn auf seine nasse Nase, und seine Barthaare kitzelten mich am Mund. Dann rannte ich los, so schnell ich konnte, und der kalte Wind stach mir in die Wangen.
Meine Hände berührten Sunyas Gartentor. Ich keuchte, und mein Puls raste, und meine Füße taten weh, und ich schwitzte wie verrückt. So mutig war ich noch nie zuvor im Leben gewesen, und ich grinste, als ich das Tor aufmachte und die Zufahrt zu Sunyas Haus entlangrannte. Als ich über den Zaun sprang, flog ich ein Weilchen und landete dann im Garten. Ich war ein Vogel und Wayne Rooney und Spider-Man in einer Person, und nichts konnte mich schrecken, nicht mal Sammy der Hund, der jetzt in der Küche anfing zu knurren.
Ich legte die Karte auf den verschneiten Rasen und suchte mir einen kleinen Stein. Mit dem versuchte ich, Sunyas Fenster zu treffen, aber der Stein landete zwei Meter darunter an der Wand. Der nächste flog übers Dach. In Büchern klingt das immer so einfach, aber erst beim elften Versuch traf der Kiesel das Fenster. Ich lief weg und versteckte mich hinter einem Busch, weil ich Sunya beobachten wollte, wenn sie die Karte fand. Ich zählte bis hundert. Nichts passierte. Sammy regte sich furchtbar auf, bellte und knurrte und kratzte an der Tür, aber das war mir ganz egal. Ich suchte mir einen größeren Stein, der diesmal richtig laut ans Fenster knallte.
Ich sprintete wieder hinter den Busch und riss mir dabei die Wange an einem Dorn auf, aber es tat nicht weh. Diesmal musste ich nur bis dreizehn zählen. Ein Vorhang bewegte sich, und ein dunkles Gesicht erschien am Fenster. Das Licht ging an.
Das dunkle Gesicht gehörte zu einem Mann. Sunyas Dad sagte etwas über die Schulter zu jemandem, den ich nicht sehen konnte. Er starrte auf die Veranda, die Bäume und den Rasen, und Sammy knurrte. Ich hatte Angst, dass sie ihn rauslassen würden und dass er mich finden würde.
Sunyas Dad entdeckte die Karte nicht. Nachdem er fünf Minuten lang nach Einbrechern Ausschau gehalten hatte, zog er die Vorhänge zu und machte das Licht wieder aus. Sammy bellte noch ein bisschen, war dann aber auch still. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, obwohl sich ein Ast in mein Bein bohrte und mein rechter Fuß einschlief. Ich starrte auf das Fenster und vergaß dabei zu blinzeln, so dass meine Augen ganz trocken wurden. Ich wollte unbedingt, dass Sunya die Vorhänge aufzog und die Karte fand und sich freute, weil sie in der Schule so traurig gewesen war. Ich dachte an ihre Hand und meine Hand, die sich fast berührt hätten, und ich fragte mich, was passiert wäre, wenn Sunyas Mum nicht gehupt hätte.
Nach einer halben Ewigkeit bewegte ich mich wieder. Eine Kirchturmuhr schlug Mitternacht, als ich aus dem Busch kroch. Die Äste federten zurück, und ein Ärmel von meinem T-Shirt zerriss. Als ich die Karte aufhob, war sie ganz nass. Der Schnee hatte sie aufgeweicht. Ich überlegte gerade, ob ich sie hierlassen, wieder mitnehmen oder in Sunyas Briefkasten werfen sollte, als ich hörte, wie die Küchentür aufgeschoben wurde.
Ich hätte wegrennen, mich verstecken oder mich zu Boden werfen und mit Schnee bedecken sollen, aber mein Körper wollte sich nicht bewegen. Ich
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