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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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ansah, war mir keineswegs egal. Nicht Cassie - sondern mich, das Opfer! Es war nur ein einziger Blick, aber ich bemerkte ihn und spürte, wie sich alles in mir zusammenzog. Es war ein missbilligender Blick. Von dem einzigen Menschen, für den ich, wie ich immer geglaubt hatte, etwas Besonderes gewesen war.
    Ich rannte nach draußen und fuhr mit einem Taxi zurück zu Fletch, obwohl es mir Höllenqualen bereitete, auch nur die Adresse zu nennen. Bei Fletch zur Untermiete zu wohnen war nicht das locker-flockige Abenteuer, das es eigentlich sein sollte. Fletch residierte in einem dreistöckigen Bau in Westlondon, überraschend stylisch, und ich fühlte mich inmitten der betulichen Einrichtung wie ein Elefant im Porzellanladen. Innerhalb weniger Tage hatte ich den verchromten Handtuchhalter aus der Wand gerissen und die Walnussarbeitsplatte in seiner Küche unter Wasser gesetzt, nur weil ich den schicken Drehgriff am Wasserhahn in die falsche Richtung geschoben hatte und ihn fünf Sekunden lang nicht abstellen konnte. Ich hätte gedacht, dass er solche Zwischenfälle als Teil meines linkischen Charmes abtun würde, aber stattdessen ging er in die Luft.

    Gleichzeitig war das Zusammenleben mit ihm auch kein Honigschlecken. Weil ich in Ruhe gelassen werden wollte, hatte ich ihn als Vermieter genommen und keine meiner Freundinnen, und Fletch tat auch so, als wäre ihm alles egal. Aber das war es keineswegs. Er war merkwürdig penibel. Die Bücher in seinem Regal waren alphabetisch geordnet. Und sein Kunstgeschmack war widerlich. Die Bilder waren durch die Bank modern, brutal und knallbunt. Er hatte sie alle auf einer Künstlerseite im Internet bestellt, wo man Künstler in Indien beauftragen konnte, schnell mal eine Mona Lisa hinzupinseln - aber Fletch hatte sich lieber für Die Ermordung von Pablo Escobar entschieden, das Bild eines Fettsacks, der blutüberströmt auf einem Dach im Kugelhagel starb.
    »Ich mag es«, erklärte mir Fletch, »weil es absurd ist. Und weil es kaum jemandem gefällt. Ich mag authentische Sachen. Viele Kunstwerke sind nichts als Dekoration, aber das hier ist ein geschichtlicher Moment.«
    Das Bild hing unübersehbar an der Wohnzimmerwand und machte es mir unmöglich, vor dem Flachbildfernseher zu entspannen. (Selbst nach fünf Wochen stellte ich immer noch regelmäßig meine Tasche vor dem Infrarotsignalgeber ab und wunderte mich dann, warum das Bild so schlecht war.)
    Ich bewunderte Fletch, aber er ging mir auf die Nerven, und jeder seiner Spleens ließ mich Tim vermissen. Fletch interessierte sich längst nicht so intensiv fürs Essen wie ich . Ihm genügte ein Billigkrautsalat von Sainsbury’s. Er kaute eher wenig, wie mir auffiel, sondern schlang sein Essen hinunter wie ein Hund. (Er war unter fünf Brüdern groß geworden.) Aber wenn ich aufbegehrte und Traditionskrautsalat von Mark’s & Spencer kaufte - den besten auf dem Markt, da dulde ich
keinen Widerspruch -, futterte er ihn weg und überließ mir die Billigpampe, um anschließend zu bekunden, er hätte es »echt nicht geschnallt. Schmeckt doch alles gleich, oder?« Ich fand das nicht besonders zuvorkommend. Hätten wir vor zehntausend Jahren eine Höhle miteinander geteilt, hätte sich Fletch um die Nahrung kümmern müssen, und ich wäre verhungert.
    Ich dachte an Tims Angewohnheit, mir jedes Jahr einen Proviantkorb zu schenken. Er päppelte mich gern. Außerdem konnte er meine gottlose Begeisterung für alles, was mit Kirche und Weihnachten zusammenhing, nachfühlen, und schaute immer grinsend zu, wenn ich den Korb öffnete und mich glückselig durch frische Zitronenmarmelade, Dattelund Pekannusskekse, Himbeeren in Likör, Butterkaramellen und Champagnertrüffel wühlte. Und selbst wenn nicht gerade Weihnachten war, wusste er, wie gern ich mein Essen teilte, ohne dass ihm das was ausgemacht hätte. Er wusste genau, dass ich im Restaurant grundsätzlich das Falsche bestellte, während er instinktiv das Leckerste auf der Karte aussuchte, und tauschte seufzend den Teller mit mir, wenn ich nach dem ersten Bissen mit gerümpfter Nase vor ihm saß. Er war der geborene Ernährer, selbst wenn er zeitweise keinen Penny verdiente.
    Wohingegen ich mir vorige Woche ein Monstersandwich mit Avocado, Käse, Tunfisch und Maispaste zusammengestellt hatte und mir daraufhin von Fletch, als er in die Küche kam, anhören durfte: » Das nenne ich ein gut bestücktes Sandwich.«
    Das mir danach nicht mehr richtig schmecken wollte. Ich kam mir vor wie ein

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