Meine Schwester und andere Katastrophen
andere Farbe gestatten - außer gelegentlich Pink, weil ich Pink so mochte. Sie hatte gelächelt, aber mit verkniffenem Gesicht. Aber dass meine Schwester Verkehr (ich war keine Sexkolumnistin mehr und würde nie wieder das Wort »Schwanz« benutzen müssen - das war einfach nicht ich , Süße) mit meinem Freund hatte und dabei mit einem einzigen Akt etwa zehn Menschen gleichzeitig betrog … jetzt, wo ich ihren beiderseitigen Verrat nicht mehr ganz so wahnhaft betrachtete, erschien er mir undenkbar.
Dennoch hatte ich sie zusammen gesehen.
Ich brach wieder in Tränen aus und begriff gleichzeitig, warum der menschliche Geist sich so begeistert auf jede Verleugnung einlässt. Trotzdem. Geistige Umleitungen zu ersinnen war schwere Arbeit. Ich war total am Ende. Ab und an tritt in unserem Land irgendein Fluss über die Ufer und überflutet eine Stadt, und dann sieht man die armen Menschen
das Wasser aus ihren Häusern schöpfen und Sandsäcke vor die Türen legen - und wer ihnen zusieht, denkt, ihr müsst wissen, dass die Sandsäcke und das Schöpfen nichts nützen werden. Das Wasser steht euch bis zum Dach! Aber aus sicherer Entfernung lässt sich das leicht sagen. Wenn man mitten in der Krise steckt, unternimmt man alles , um sich besser zu fühlen, um sich von dem Elend abzulenken, die Wirklichkeit zu verleugnen, ganz egal, wie dämlich das ist.
Ich trocknete meine Augen und fragte mich, womit ich meinen Lebensunterhalt verdienen sollte, um mich vor materieller Not und meine Eltern vor tödlicher Beschämung zu bewahren. (Vielleicht konnte ich Baumdoktor werden? Dann würde Vivica jedes Mal, wenn Evelyn Toberman ihren Unterhaltungstotschläger herausholte und erwähnte, dass Nina Sara im Beratungsteam des Finanzministers arbeitete, mit »meine Tochter, die Doktorin« zurückschlagen können.)
Es läutete an der Tür, ich linste aus dem Fenster und erkannte - wenn man vom Teufel spricht! - die Scheitel meiner beiden Eltern. Sie waren beide gekommen! Ich war wohl in ernsten Schwierigkeiten.
Ich öffnete die Tür, und Vivica sagte: »Schätzchen, wir haben dir einen Schlüsselring von Gucci gekauft! Daddy hat einen mit einem kleinen roten Bus als Anhänger gesehen, aber ich dachte, dir wäre der von Gucci lieber! Können wir reinkommen?« Sie schnüffelte. »Warum macht ihr kein Fenster auf? Frische Luft ist doch so gesund!«
Ich trat beiseite, und sie marschierten durch ins Wohnzimmer, wobei unser Vater seiner Frau folgte wie ein Infanterist. Erst als Vivica auf das Sofa zuhielt, bog Geoffrey ab in Richtung Küche und murmelte etwas von »Kanne Darjeeling«.
Ich setzte mich meiner Mutter gegenüber auf einen Puff.
»Ich weiß, dass alle sich das Maul über mich zerreißen«,
platzte es aus mir heraus. »Ich weiß, ihr denkt alle, ich hätte mich unmöglich benommen, aber in Wahrheit ist sie unmöglich! Niemand kann sich auch nur ausmalen, wie das für mich ist, die -«
»ELIZABETH!« Unser Vater trug ein Tablett, auf dem genau in der Mitte eine Teekanne stand.
Ich verstummte. Er wurde nie, wirklich nie laut. »Elizabeth«, fuhr er fort, »wie du dir vorstellen kannst, hat dein Ausbruch während der Festivitäten beträchtlichen Wirbel ausgelöst. Eine so schockierende Anklage wie deine muss irgendwo ihren Ursprung haben, weshalb wir Cassie baten, sich zu erklären. Das hat sie getan, und zwar zu unserer vollen Zufriedenheit. Wie ich gehört habe, hast du ihr keine Gelegenheit gegeben, dir die Wahrheit zu sagen, und das war falsch von dir.«
Ich sah ihn zornig an.
»Schätzchen«, meldete sich Vivica zu Wort. Sie hielt inne und schob eine kleine, burgunderrote Schachtel mit einer silbernen Aufschrift über den Couchtisch. »Sie würde dir das nie im Leben antun. Genauso wenig wie Tim. Die beiden vergöttern dich. Vor allem Cassie.«
Sie holte Luft und zündete sich eine Zigarette an, ohne zu fragen, ob sie hier rauchen durfte. Ich sah, wie ihre langen, weißen Finger zitterten, als sie das Feuerzeug anknipste. Ihre Nägel waren blutrot und perfekt, ohne die kleinste Macke. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Sie warf Geoffrey einen Blick zu, der daraufhin aus dem Zimmer huschte.
Vivica inhalierte und sagte dann ganz schnell: »Ich bin sehr wohl in der Lage, mir vorzustellen, was das alles für dich bedeutet. Ich weiß genau, wie du dich fühlst, weil ich dasselbe durchgemacht habe.«
»Was?«, fragte ich. »Du hattest -«
»Ich hatte eine Eileiterschwangerschaft. Sieben Monate nach deiner Geburt. Daraufhin
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