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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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wurde mir in einer Notoperation die Gebärmutter entfernt. Das Baby und jede weitere Hoffnung - raus, weg, vorbei.«
    Ich spürte, wie mir die Augen aus dem Kopf quollen. Das war zu viel für meinen winzigen Verstand. Der mir in diesem Augenblick wirklich winzig erschien. Mein Schmerz war so groß, dass niemand je so leiden durfte wie ich. Und jetzt stand meine eigene Mutter vor mir, der druckfertige Artikel über meine Erfahrung, über dreißig Jahre danach, ganz gelassen, fast sachlich und beinahe in der Lage, normal zu funktionieren. Ich konnte kaum glauben, dass sie das durchgemacht und überlebt hatte. Um meine unpassende Reaktion zu überspielen, schaltete ich automatisch auf Turbomitleid. »O Gott, Vivica, das tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Du Ärmste, wie -«
    Sie wehrte mein Mitleid mit einem Handwedeln ab. »Ich will nicht darüber reden. Ich war damals schrecklich unglücklich, und daran möchte ich nicht erinnert werden. Ich ziehe es vor, nicht daran zu denken.«
    Sie war so selbstvergessen - es war kaum zu ertragen.
    »Aber Vivica, nur weil du es vorziehst, deinen Schmerz zu ignorieren und ihn auszuschließen, wird er nicht vergehen. Er ist immer noch da. Nur versteckt.«
    »Das genügt. Es reicht mir, wenn er sich versteckt. Aber«, sagte sie plötzlich nachsichtiger, »wenn ich dich sehe, kommt alles wieder hoch, und ich leide mit dir. Wirklich«, betonte sie. Sie klang fast überrascht.
    Du leidest wirklich mit mir, dachte ich und sah sie fast ebenso überrascht an.
    »Jedenfalls«, meinte sie forsch, »wollte ich dir das erzählen, damit -«

    »Entschuldigung.« Mein Hirn war wie eine Rechentafel, an der unendlich langsam die Perlen gegeneinanderklackerten. »Dir wurde die Gebärmutter entfernt ?«
    »Ja.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Aber Cassie …?«

KAPITEL 28
    Vivica beugte sich vor und drückte meine warme Hand in ihrer kühlen zusammen. Ihr Ehering bohrte sich schmerzhaft in meine Haut. Sie schloss die Augen und sagte, ohne die Augen wieder aufzumachen: »Cassie ist adoptiert.«
    Ich stand auf, obwohl meine Beine schlagartig heiß und wacklig waren. Nachdem ich diese Worte gehört hatte, konnte ich unmöglich sitzen bleiben.
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich schließlich. »Das glaube ich nicht.« Ich sah Vivica an, die mich blinzelnd ansah, als müsste sie einen Horrorfilm anschauen. »Das geht mir einfach nicht in den Kopf.«
    Sie öffnete die Augen wieder - in ihnen stand nackte Angst. Geoffrey war ins Zimmer zurückgetappt und stand jetzt hinter ihr, eine Hand auf ihrer Schulter und mit tief ernster Miene.
    Ich hätte am liebsten laut gebrüllt. »Warum hat mir keiner was gesagt?«, fragte ich. Ich hörte, wie meine Stimme lauter, höher und hysterischer wurde. »Warum habt ihr mir nichts gesagt? Oder sie? So viele Jahre lang!«
    Ich brach in Tränen aus. Seit jeher hatte ich mich wie eine Außenseiterin gefühlt, so als würden sich alle anderen auf meine Kosten lustig machen. Und ich hatte recht gehabt. Obwohl genetisch betrachtet Cassie, wunderschön und besser-als-alle-anderen, die Außenseiterin war - gut zu wissen,
dass irgendwer sie nicht hatte haben wollen -, hatten sie es trotzdem geschafft, eine geschlossene kleine Gemeinschaft zu bilden, die ein monströses Geheimnis bewahrte, während ich ausgeschlossen blieb.
    »Schätzchen, ach, Schätzchen!«, sagte Vivica, schon halb im Aufstehen, aber ohne es wirklich zu tun. Sie reckte sich zu mir hin und wackelte mit den Fingern, als wollte sie mir übers Haar streichen, aber sie tat es nicht. »Bitte reg dich nicht auf. Ich weiß, das ist ein grauenvoller Schock. Und du hast jedes Recht, furchtbar böse auf uns zu sein. Aber ich hoffe von Herzen, dass du es nicht sein wirst. Es war am besten so. Wir haben es Cassie erst erzählt, als sie dreizehn wurde - wir wollten niemanden beunruhigen -, und sie hat uns verboten, dich einzuweihen. Nicht weil sie dir etwas Böses wollte. Sie war - ist - so stolz, deine Schwester zu sein. Sie wollte nicht, dass du sie anders siehst. Sie wollte nicht, dass etwas eure Beziehung einschränkt .«
    Ich schluckte. »Ehrlich?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte Vivica. »Sie vergöttert dich. Vergöttert!« (Wieder voller Überraschung.) Sie hustete. »Sie sieht zu dir auf, musst du wissen. Sie weiß nicht, dass wir es dir erzählt haben. Aber ich habe lang genug geschwiegen und mir gedacht, dass es Zeit wird, eine Entscheidung zu fällen. Schließlich bin ich Geschäftsfrau. Und Mutter«,

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