Meine Schwester und andere Katastrophen
auszuwechseln.
»Was hast du für ein Problem, George?«, hatte ich gesagt. Ich wollte es wirklich wissen, da ich ihn inzwischen mit jeder Bemerkung und jeder Frage auf die Probe stellte und seine Reaktion auf meiner »Enttäuschungs«-Skala einordnen wollte. Sie war enttäuschend. Ich hatte ihn früher wirklich geliebt.
Er hatte mit den Achseln gezuckt. »Ich weiß nicht, warum diese Muttergeschichte so wahnsinnig wichtig für dich ist«, sagte er. »Schließlich hast du sie überhaupt nicht gekannt.«
»Hm«, antwortete ich möglichst ruhig. »Meine leibliche Mutter ist tot. Und du verstehst nicht, warum mich das beschäftigt.«
George dachte nach, als wollte er ausnahmsweise etwas wirklich Kluges sagen. »Ich meine - wenn du nicht so erfolgreich wärst, dann könnte ich das ja verstehen!«
Damit endete unser Gespräch. Wenn er das wirklich dachte, gab es nichts mehr zu sagen.
Tante Edith sagte lächelnd: »Ahh! Hallo!«, als sie mich sah. Ausgewählte Verwandte hielten im Essen inne und starrten mich an. Ich kenne eine adoptierte Frau, deren »Cousine« jede Neuigkeit mit dem Satz eröffnet: »Ich weiß, dass du nicht wirklich mit uns verwandt bist, aber …« Das war bei uns kein Problem. Sie begegneten Lizbet mit der gleichen blöden Neugier. Als ich das letzte Mal im Zoo war, hatte der Klammeraffe beschlossen, dass ich seltsam genug war, um mich einer genaueren Inspektion zu unterziehen. Er hatte sich bis an die Glasscheibe geschwungen und mit tiefem Ernst mein Gesicht studiert. Der Vorfall hatte mich verstört. Diese Menschen hatten denselben Effekt auf mich.
»Wie geht es dir?« Ich bückte mich und gab ihr einen Kuss.
»Ach, nicht besonders«, sagte sie. »Alles tut weh. Das ist die Arthritis. Ich kann kaum gehen.«
»Das tut mir leid«, murmelte ich. Ich kann nicht besonders gut mit alternden Menschen umgehen. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie gelogen hätte.
»Nicht so wichtig!«, ergänzte Tante Edith. »Zum Glück habe ich ein Auto. Denise und Ian haben mir den Wagen letztes Jahr gekauft. Ich habe ihnen gesagt, der müsste mir bis ans Ende reichen!«
»Tante Edith! Sag nicht so was! Du siehst sehr gut aus. Alles Gute zum Geburtstag! Das hier ist von der ganzen Familie.« Ich stellte die Tiffanyvase auf den Tisch neben ihr. Schockiert merkte ich, dass sie das Päckchen kaum eines Blickes würdigte.
»Und wie geht es dir , mein Schatz?«, fragte Tante Edith. »Man hört ja Wunderbares von dir!«
Denise, Ian und die anderen drängten sich um uns. Ich gab mir Mühe, so schwanger wie möglich auszusehen. Ich hatte gehofft, dass mir mein Zustand Immunität vor blöden Blicken und zweideutigen Kommentaren sichern würde.
»Du hast gar nicht zugenommen!«, rief Denise.
»Aber du , Denise«, murmelte George hinter mir. Und dann, halb zu sich selbst: »Fast wie bei Dorian Gray , gewichtsmäßig.«
»Und weißt du schon, was du bekommst?«, wollte Denise wissen.
»Wir hoffen auf ein Baby«, sagte George.
»Ach, halt den Mund.« Denise nahm mir die Worte aus dem Mund. Dann erspähte sie Mummy - die halb so alt aussah wie Denise, obwohl sie zehn Jahre älter war. »Oho, da kommt die Oma! Hallo, Groß mutter, hast du schon den Seniorenausweis beantragt?«
Mummy reagierte so wenig auf ihre Nadelstiche wie ein Gespenst auf einen Dolchstoß. »Ja, du hast recht, es ist ein wunderbares Gefühl, bald Großmutter zu werden. Ich nehme an, du fragst dich, wann Ian dich zur Großmutter macht, Denise. Was sage ich da? Das fragen wir uns alle !«
Cousin Ian war einmal beim Verlassen eines Gay Shops beobachtet worden. Genauer gesagt mehrmals. Aber das offen zuzugeben - unmöglich! Nicht in unserer Familie!
Denise errötete, gerade als Lizbet auf Zehenspitzen in den Raum geschlichen kam und Cousin Ian nach draußen schlich.
»Mein Gott, Elizabeth!«, rief Denise. »Du bist nur noch Haut und Knochen! Du musst unbedingt mehr essen!«
Mindestens dreißig Augenpaare schwenkten auf Lizbet. Es war wie in Robocop. »Sie haben zwanzig Sekunden, um sich zu ergeben!«
»Wo ist Tim?«, fragte Denise.
Lizbet tat so, als hätte sie die Frage nicht gehört. Ich versuchte mitfühlend zu lächeln, aber Lizbet sah nicht zu mir her. Ihre Lippen strichen über Tante Ediths spröde Wange, und sie sagte: »Alles Gute zum Geburtstag!« Sie legte ein weiches Päckchen auf Tante Ediths Schoß und befahl: »Mach es auf!« Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten, ohne dass ich gewusst hätte, warum.
Tante Edith
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