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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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fette, gierige Kuh, die eigentlich ein paar Blätter knabbern sollte. Fletchs Vorstellung von einem gelungenen Mittagessen war ein Bagel mit Hummus und Hefepaste. Bäh.

    Tim begriff auch, dass ich nicht blöd war, selbst wenn ich Dinge sagte wie: »Jesus wurde doch im Nahen Osten geboren, oder? Wieso hat er dann einen mexikanischen Namen?«
    Fletch sprach mich mit »Blondie« an, obwohl ich braune Haare habe. Er hatte gerade angefangen, mit einer kurvigen neunundzwanzigjährigen Ärztin namens Cornelia auszugehen. Die beiden bumsten überall im Haus, sodass ich mich in meinem Zimmer einschließen musste, wenn ich mich sicher fühlen wollte. Sie war nicht nur scharf wie Meerrettich, sie war auch witzig und klug und konnte, weil sie katholisch war und eine Nonnenschule besucht hatte, Latein. Schlimmer noch, sie war nett. Lieb und gut zu mir. Ich fragte mich, ob Fletch ihr von meinem Baby erzählt hatte. Eher nicht; wahrscheinlich hatte er es längst vergessen. Aber ich kam von Denises Haus zurück, marschierte geradewegs in die Küche, schenkte mir ein Wasserglas mit Wodka voll und kippte es weg. Dann drehte ich mich um und sah sie hinter mir stehen.
    »Oh!«, sagte ich verlegen. »Nur aus medizinischen Gründen!«, ergänzte ich. Ich schwenkte das Glas und begann zu plappern.
    Cornelia hörte zu, ohne irgendwas zu sagen. Als ich fertig war, meinte sie: »Viele Menschen glauben, dass sich die Trauer an der Größe des Babys messen lässt. Du kannst nur hoffen, dass ein paar Mitmenschen Mitgefühl aufbringen und wenigstens versuchen, dich zu verstehen.«
    Ich sagte: »Wenn ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich immer noch einen Kindersitz.«
    Cornelia nahm meine Hand.
    Am nächsten Morgen beschloss Fletch, dass er sie nicht leiden konnte, und servierte sie per SMS ab.

    Am Montag blickte ich in den Spiegel.
    »Reiß dich zusammen«, sagte ich laut. Saufen, Autos schrotten und mich mit meiner Familie anlegen war nicht das, was meine Grundschullehrerin mir prophezeit hatte. (Miss Marsh, eine Texanerin undefinierbaren Alters mit schwarz gefärbtem und zu einer Zuckerwattefrisur geföntem Haar. Ich hatte für sie eine dicke schwarze Spinne aus dem Waschbecken in der Kunstecke entfernt, und sie hatte gerufen: »Jetzt sehe ich es genau vor mir - Elizabeth Montgomery, die erste Frau auf dem Mars!«)
    Ich würde mich wieder zügeln. Ich erlaubte mir eine Sekunde sentimentalen Sinnierens. Mein Baby wäre tief enttäuscht von mir, wenn es mich so sähe. Kein Kind möchte eine selbstmitleidige, angeschickerte Mutter haben. Mein Baby sollte nicht denken, dass es mein Leben ruiniert hatte. Im Gegenteil, ich wollte ihm Ehre machen; ich wollte, dass es stolz auf mich war. Es war ungeheuer wichtig, dass seine kurze Existenz nicht bedeutungslos gewesen war - dass sie letzten Endes zu etwas Gutem führte. War das ein Frevel? Vielleicht stand ich unter dem Einfluss des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in dem jeder Mensch ein Gewinner sein muss, selbst jene armen kleinen Wesen, die zu krank und zu zerbrechlich sind, um es auch nur bis zur Startlinie zu schaffen. Musste ich wirklich dem Tod meines Babys einen positiven Sinn geben? Vielleicht versuchte ich auch nur, einen Weg aus der Hölle zu finden, um nicht zwei Leben zu vergeuden.
    Mehr als zwei Leben. Ich hatte meine Beziehung in den Graben gefahren, obwohl Tim und ich füreinander geschaffen waren. Tante Edith hatte das gesagt, und sie sagte das bestimmt nicht über jeden. Als Großonkel Keith die Schottin Miriam heiratete, hatte sie verkündet: »Wenigstens sind die beiden jetzt vom Markt.« Möglicherweise hatte ich Tim in
Cassies Arme getrieben. Jesus. Nein, da gab es nichts zu beschönigen. Das war unentschuldbar, und zwar von beiden, ganz gleich, was ich ihnen angetan hatte. Trotzdem hatte ich ihn schrecklich behandelt. Ich hatte alles getan, um ihm zu zeigen, dass mein Schmerz wichtiger war als seiner, obwohl es genauso sein Baby gewesen war. Und was Cassie anging … Überraschend war es trotzdem. Gut, sie war eiskalt, aber sie war loyal.
    Ich war nicht so naiv zu glauben, dass wir alle mit unversehrten Prinzipien in den Himmel kommen. Cassie hatte kein Glück mit George. Und sie war eifersüchtig auf uns. Einmal hatte ich erwähnt, dass Tim mir jeden Morgen eine Tasse Tee ans Bett brachte, und ihr Mund war ganz schmal geworden. Und ein andermal hatte ich - nach einem Drink oder fünf - kichernd erzählt, Tim würde darauf bestehen, dass ich nur weiße Slips trug, und keine

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