Meine Schwester und andere Katastrophen
würde ihr die Höflichkeit erweisen, ihre Frage zu beantworten.
» Das ist lächerlich«, gab ich zurück. »›Juden trinken nicht!‹ Wenn du das wirklich glaubst, bist du nicht besser als Cousine Denise, der einzige Mensch weit und breit, der nicht einsehen will, dass ihr Liebling Ian schwuler ist als Elton John!«
Vivica schniefte. »Die dumme Kuh. Sie beschwert sich ständig, dass Derek nicht mit ihr ins Musical geht.«
Ein Sonnenstrahl fiel auf die Holzdielen, und ich sagte: »Ich werde aufhören zu trinken.«
Unser Vater nickte, und Vivica lächelte. Er schenkte ihr Tee ein, und sie nahm einen Schluck.
»Ach übrigens, George hat Cassie verlassen«, sagte unsere Mutter.
Mir blieb der Mund offen stehen. Mir kam der Gedanke, dass ich mir im Gegensatz zu manchen krankhaft Fettleibigen, die sich den Mund mit Draht zusammenheften lassen, den Mund mit Draht aufsperren lassen sollte.
»Natürlich werden wir ihn erfahren lassen, dass sie sich nichts hat zuschulden kommen lassen«, ergänzte unser Vater, »aber wir glauben trotzdem, dass es am besten so ist.«
»Ja«, bestätigte Vivica. »Es hört sich traurig an, aber das ist es nicht. Jeder kann sehen, dass Cassies Ehe mit George eine einzige Katastrophe war, und es ist viel besser für das Baby, wenn sie schon jetzt endet. Die Kleinen müssen spüren, dass sich ihre Eltern lieben, und wenn das nicht der Fall ist, ist es besser, wenn Mummy und Daddy weit genug auseinander wohnen, um ein Mindestmaß an gutem Willen heucheln zu können.«
Ich nickte. Und dachte, Cassie wird dieses Baby mit Liebe überschütten , und ich werde das auch tun. Pfeif auf George. Es wird ihm nicht an Liebe fehlen. Jemals. Ich blinzelte, erschrocken über die Leidenschaft, die ich entwickelte. Natürlich meinte ich damit eigentlich, dass ich meine Pflicht tun würde. War ich überhaupt noch die Tante des Babys? Technisch betrachtet?
Sie standen auf und wollten gehen. Vivica hauchte mir einen Kuss auf eine Wange, und mein Vater küsste mich auf die andere.
Als sie in der Tür standen, drehte er sich noch einmal um
und legte die Hand auf meinen Arm. »Wir trauern mit dir um dein Baby, Lizbet. Wir schauen nach vorn, aber wir haben es nicht vergessen.«
Ich schloss die Tür und legte die Hand vor die Augen. Manchmal braucht es nicht mehr als ein paar Worte.
KAPITEL 29
Weil ich mit den Gedanken nicht bei der Sache war, lief mein Zukreuzkriech-Telefonrundruf nicht besonders gut. Denise kicherte, bis ich versucht war zu sagen: »Hör zu, Süße, Ian hat mir von Großcousine Tiffanys australischer Hochzeit mit Sean aus Perth erzählt, und er beschrieb das Brautkleid dabei als ›Seidentaft mit einem Überwurf auf perlenbesetztem Organza‹ - steck dir das in die Pfeife und rauch es!«
Tante Edith hingegen verdiente eine persönliche Entschuldigung, und so fuhr ich mit dem Taxi zu ihr. Ich hoffte, dass sie mich aussteigen sehen würde, weil sie sich erst kürzlich beschwert hatte, dass eine Verwandte erklärt hatte, Tante Edith könnte ihr doch einen Besuch abstatten. »Warum soll ich zu ihr fahren? Das Auto ist in der Werkstatt, und so wichtig ist sie auch wieder nicht, dass ich ein Taxi nehmen würde!«
Zu meiner Überraschung wurde ich bei meiner Ankunft nicht wie gewohnt umsorgt und umhätschelt. Ich meinte eine Spur von Kränkung in Tante Ediths Stimme zu hören, und das erschreckte mich. Ich hatte ihre Geburtstagsparty sabotiert und mich in den Mittelpunkt gedrängt.
Ich nehme an, dass keiner von uns beiden auch nur einen Schritt nachgeben wollte. Ich war fest entschlossen, dass Tante Edith weiterhin die Rolle spielen sollte, die sie in unserer Kindheit gespielt hatte - die der mütterlichen Ernährerin. Ich wollte Kind bleiben und bemuttert werden, heute noch
mehr als früher. Sie hatte andere Vorstellungen. Sie war alt. Ihr geliebter Mann war gestorben. Sie lebte allein. Sie wollte, dass ich sie umhätschelte.
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal feststellte, dass Tante Edith nicht mehr bei mir anrief, sondern erwartete, von mir angerufen zu werden, und zwar regelmäßig. Und ganz gleich, wie oft ich sie besuchte, sie sagte jedes Mal: »Lass nächstes Mal nicht so viel Zeit verstreichen.« Wie gewöhnlich hatte Tim mich zur Vernunft gerufen und erklärt: »Sie ist in einem Alter, in dem man selbstsüchtig wird. In ihrem Lebensabschnitt ist man nicht mehr an einer ausgeglichenen Beziehung interessiert. Sie hofft auf ein offenes Ohr.« Trotzdem hatte es mich
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