Meine Schwester und andere Katastrophen
ein wie ein vertrocknetes Blatt. »Ja?«, fragte ich.
»Ich hätte gehofft, dass es irgendwie alles erklären würde. Dass es danach besser wird . Aber das glaube ich nicht.«
Sie dachte bestimmt an Mummy. Die immer mich bevorzugt hatte.
Ihre Schultern sackten herab. Ich streckte die Hand aus und nahm ihre. »Mummy hat es dir nicht leicht gemacht. Sie waren sich zu sehr der Möglichkeit bewusst, dass sich das adoptierte Kind benachteiligt fühlen könnte. Sie haben überkompensiert. Sie sind nicht besonders einfühlsam. Mummy ist kein leidenschaftlicher Mensch. Sie ist nicht mütterlich. Nicht in dem leicht durchgeknallten Sinn, in dem es ganz
und gar mütterliche Frauen sind, die sich vor einen Bus werfen würden, um ihr Baby zu retten. Bei Mummy hat man so eine Ahnung, dass sie … abwarten würde, ob nicht eine Passantin sich opfert. Trotzdem lieben dich die beiden sehr, auf ihre Weise, und ich glaube, dass man das nach deiner Fehlgeburt« - ich sah ihr in die Augen, als ich das sagte - »bei Mummy ganz deutlich spüren konnte. Sogar bei Daddy.«
Lizbet nickte schweigend. Ich sah, dass sie ihren Ärmel über den Daumen gezogen hatte und mit den Schneidezähnen quietschend über den Stoff rieb. Es war eine Angewohnheit, die sie als Dreijährige entwickelt hatte, behauptete Mummy, und ich hatte sie das letzte Mal beobachtet, als sich Großonkel Keith selbst zum Abendessen eingeladen hatte (ohne seine schottische Miriam), unter dem Essen - und vor Tims Eltern - die neueste Ausgabe des Ladz Mag herausgezogen und laut Lizbets Kolumne über Blowjobs vorgelesen hatte, mit widerlicher Genugtuung und vom ersten bis zum letzten Wort.
»Wir waren keine so schlechte Familie«, ergänzte ich schnell. »Wir sind ganz gut zurande gekommen; das Zentrum, wir vier, meine ich. Von den anderen rede ich nicht, über die bucklige Verwandtschaft brauchst du dir keinen Kopf zu machen, Lizbet. Ja, Mummy war eine totale Traumtänzerin, und Daddy hatte von nichts eine Ahnung, aber sie waren mit dem Herzen dabei.«
Lizbet hörte auf mit dem Zähnequietschen und schmollte stattdessen. »Das ist gelogen«, sagte sie, aber ich hörte ein Lächeln in ihrer Stimme. Ihre Augen wurden schmal. » Wie alt warst du, als sie dir verraten haben, dass du adoptiert wurdest? Ich wette, du fandest das genial !«
Ich setzte eine entrüstete Miene auf, aber sie ließ sich nicht täuschen. »Vergiss nicht, Cass«, sie drohte mir mit dem Finger,
als wäre ich wieder fünf, »ich kenne dich besser als jeder andere. Und ich wette, du fandest es phantastisch zu erfahren, dass du adoptiert warst. Ich wette, du dachtest, du wärst in Wahrheit eine Prinzessin!«
Ich errötete.
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Und«, meinte sie dann, »was ist mit dem Rest von … deiner Familie?«
»Meine Tante hat mir neulich geschrieben. Sie will mich kennen lernen.«
Lizbet schnappte nach Luft. »O mein Gott! Ich freue mich so für dich! Wie klang sie?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Toll. Nett.«
»Kaum zu glauben! Und was hast du geantwortet? Was hast du ihr zurückgeschrieben?« Ich zog die Schultern hoch, und sie sagte: »Cassie! Du hast ihr nicht zurückgeschrieben? Oje! Wie kannst du ihr nicht schreiben? Wie kannst du ihr nicht antworten?« Sie holte kurz Luft und sagte dann ruhiger: »Entschuldige. Ich begreife natürlich, dass du um Sarah Paula trauern musst. Es ist ein wirklich schwerer Verlust. Nur weil du sie nie kennen gelernt hast, könnten die Leute glauben …«
»Ich weiß«, schnitt ich ihr das Wort ab. »Ich weiß.«
Sie nickte schnell und knapp. Dann sagte sie: »Aber du hast eine Tante, eine sehr nette Tante, die unbedingt die Tochter ihrer verstorbenen Schwester kennen lernen möchte. Die dir womöglich ein wenig dabei helfen könnte, das alles zu verarbeiten. Wie kannst du ihr nicht antworten? Ich meine, wie kannst du einen Menschen abweisen, der dich lieben möchte, vorausgesetzt, er ist kein Psychopath?«
Ich zog eine Braue hoch. »Und das von dir ?«
Dieser Abend zehrte an meinen Kräften - ich hatte meine ganze Power verloren und fiel jeden Abend um zehn ins Bett -, weshalb ich wenig begeistert war, als ich am nächsten Abend von der Arbeit heimkam und George auf meiner Türschwelle sitzen sah. (Natürlich hatte ich die Schlösser auswechseln lassen.)
»Deine Schwester hat alles geklärt«, verkündete er leicht gekränkt, als würde ich, obwohl meine Unschuld bewiesen war, dennoch schuldig bleiben.
Ich seufzte. Sie hatte also gegen
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