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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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brauchte, war Elterngedöns. Ich fragte nicht, ob und was er den Hershlags von unserer Trennung erzählt hatte. Sie waren im Sommerurlaub - sie besaßen auf Lanzarote ein Apartment mit Blick auf eine Baustelle.
    »Wir sind entsetzt«, hatte Mummy am Telefon erklärt, und es ärgerte mich, dass sie offenbar nicht unabhängig von unserem Vater reagieren konnte, schließlich waren sie immer noch zwei Menschen. Abgesehen von allem anderen fehlte mir die Zeit für ihr Entsetzen. Es vergrößerte nur meine Gewissensqualen.
    »Es tut mir leid«, hatte ich geantwortet. »Aber das wird bestimmt wieder.«
    Wenn jemand etwas um jeden Preis will und du ihm genau das erzählst, was er hören will, wird er dir glauben. Außerdem wusste ich, dass Mummy gern aus den kleinsten Missgeschicken die schrecklichsten Katastrophen heraufbeschwor,
weshalb es das Beste war, diesen Weg ins Verderben zu versperren, bevor sie ihn beschreiten konnte. Einmal hatte Daddy in einem Anflug von Verzweiflung gesagt - wobei er wahllos Dinge vom Küchentisch aufhob, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen: » Das ist ein Glas, und das ist ein Teller, und das ist ein Sarg!«
    Mummy hatte ihn scharf angesehen und gemeint: »Nein. Das ist ein Salzstreuer.«
     
    Die Richterin hatte Schnupfen, was kein Vorteil für uns war. Bei jedem Nieser säuselte Barnaby: »Gesundheit, Euer Ehren.« Ich war schon wieder der Auffassung, dass er ein Arschloch war, obwohl das eher daher rührte, dass er mich vor der Verhandlung so barsch abgewiesen hatte. Ich nahm an, dass er in der vorangegangenen Nacht tatsächlich zwei Leitz-Ordner voller Bankauszüge durchforstet hatte; so was schlug jedem auf die Laune. (Da Barnaby vierhundert Pfund pro Stunde berechnete, wartete eine ganz ordentliche Rechnung auf Hubert - die er bezahlen würde, auch wenn er das noch nicht wusste -, worüber ich ungewollt klammheimliche Freude empfand.)
    Aber ob mich die Richterin bei der Verhandlung »Montgomery gegen Hershlag« wohl als Alissa oder als Hubert sehen würde? Oder als beides? Die Befriedigung löste sich in Luft auf und wich der Beklemmung - die wie ein Kohleklumpen in meiner Brust saß.
    Normalerweise spürte ich immer ein gespanntes Kribbeln, wenn ich das Gerichtsgebäude betrat. Die düstere gotische Schönheit gab mir gleichzeitig das Gefühl von Macht und Ohnmacht: Ich war Teil - wenn auch nur ein winziger - einer historischen Tradition. Und die spröde Förmlichkeit war irgendwie sexy - so viel unterdrückte Leidenschaft unter den
dunklen Roben -, niemand betrat dieses Gebäude, ohne dass er etwas auf dem Herzen hatte. Aber heute berührte mich all das nicht. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Sorgen befasst. Zum ersten Mal konnte ich nachvollziehen, wie sich Lizbet gefühlt hatte, als ihre Gelder vor ihren Augen dahinschwanden.
    Damals hatte ich trotz ihrer prekären Situation keine Geduld mit ihr gehabt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie und Tim ihre Lage selbst verschuldet hatten. Immer wieder hatten sie gejammert, wofür sie ihr Geld nicht aus dem Fenster geworfen hatten (silberne Bentleys, Inseln in der Karibik, schwarze Diamanten usw.) und dabei übersehen, was sie hatten: ein Haus, das zu groß für sie war, zu viele schicke Restaurantbesuche, Luxusurlaube und unendlich viel Krimskrams. Tim war der König des elektronischen Schnickschnacks, der albernen Neuigkeiten, der nutzlosen Accessoires, und Lizbet war zu schwach, um »Nein« zu sagen. Ich hatte oft gedacht, dass sie sich Tim gegenüber wie eine nachgiebige Mutter aufführte und dass sie das noch beide in den Ruin treiben würde.
    Jetzt sah es so aus, als würde ich in einer winzigen Wohnung in einem öden Wohnblock am Rand einer Autobahn enden, während mein träger Gemahl in meinem rosa-weißen Stadthaus lümmelte, Menopausekuchen schmauste (George war süchtig danach - eine abstoßende Mixtur aus Nüssen, Samen, Datteln, schwer und klebrig wie feuchter Lehm, die er für immense Summen in einer »Patisserie« in Hampstead erstand) und sich über mich totlachte. Inzwischen erkannte ich, wie schnell man ein Vermögen verlieren kann, und brachte etwas mehr Verständnis für Lizbet auf.
    Was den Verlust eines Vermögens anging, schwebte Hubert auf einem Adrenalinhoch und ahnte nicht, was über ihn hereinbrechen würde. Er hatte sich in Schale geworfen, als
ginge er auf eine Hochzeit: rosa Hemd mit lila Krawatte und ein marineblauer Anzug. Außerdem hatte er sich eine ganze Tube Gel in die Haare geschmiert und stank

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