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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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abschirmen.
    Ich wusste genau, was ich einer Mandantin an meiner Stelle geraten hätte, und bei der Vorstellung wurde mir übel. Ich hätte sie gedrängt abzuwarten - und die Trennung erst zu beantragen, wenn das Kind ein, zwei Jahre alt war, weil sie damit das Risiko verringerte, dass der Feind das alleinige Sorgerecht bekam. Selbst wenn es bedeutete, dass sie zu absurden Mitteln greifen musste - indem sie ins Ausland verschwand, bis das Kind geboren war -, musste sie um jeden Preis sicherstellen, dass er nicht die Gelegenheit hatte, ihr das Kind abzufordern, oder die Möglichkeit bekam, sich während mehr als zwanzig Prozent der Zeit um das Kind zu kümmern. Ich hatte sowas schon vorgeschlagen, und mehr als eine Frau hatte meine Ratschläge befolgt, und ich wusste auch warum: Weil kaum etwas so Angst einflößend ist wie ein Mann, der deinen Mutterinstinkt bedroht.
    Und weil der Mann - wenn die Frau meinen Rat nicht befolgte - die Macht hatte, ihr alles wegzunehmen.
    »Raus, du Schwein!«, schrie ich ihn an. »Raus! Raus mit dir!«
    George lächelte wieder, und ich warf das Wasserglas nach ihm. Er wich aus, und es flog an seinem Kopf vorbei an die Wand, wo es zerplatzte.
    »Pass auf, Herzchen«, sagte er. »Das ist meine Wand.«
    Er zwinkerte mir zu und ging.
    Lizbet kam hereingelaufen. Offensichtlich hatte sie an der
Tür gelauscht. »Cassie, Cassie! Ist alles okay? Er blufft nur, oder?«
    Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. »Ja«, sagte ich. »Er … blufft.«
    »Puh!«, seufzte sie. »Gott sei Dank! Außerdem käme er sowieso nicht gegen dich an - du bist schließlich die Expertin! Du könntest Barnaby bitten, dich zu verteidigen! Oder es selbst übernehmen! Du würdest ihn vor Gericht fertigmachen, oder?«
    Ich nickte und wandte den Blick ab. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Lizbet war zutiefst kindlich in ihrem unerschütterlichen Glauben, dass wir letztendlich alle wie von Zauberhand gerettet würden.
    Mein unerschütterlicher Glaube prophezeite mir Unkosten von fünfzigtausend Pfund, unermessliches Elend und keine schlichte Lösung.
     
    Nachdem Lizbet in ihrem Taxi weggefahren war, schlief ich auf meinem Bett ein und erwachte erst abends wieder, benommen und verwirrt. Weil die Vorhänge zugezogen waren, wusste ich im ersten Moment nicht, ob es Morgen oder Nacht war. Ich hatte rasende Kopfschmerzen. Die Heizung war an, doch mir war eisig kalt. Die kalte Hand der Angst. Die Hände auf dem Bauch gefaltet lag ich da, starrte an die Decke und hörte in meinem Kopf immer wieder die Worte: Es tut mir so leid, es tut mir so leid. Georges Drohungen sprangen mich an wie eine Horde Monster. Ich musste sie mit dem Sandstrahler aus meinem Schädel rauspusten, sonst würde ich nicht arbeiten können.
    Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen.
    Ich hatte solche Angst.
    Zum letzten Mal hatte ich vor dreiundzwanzig Jahren
Angst gehabt, als Lizbet mich gezwungen hatte, vier volle Minuten auf das Bild einer grünen Hexe mit einer Warze auf der Nase in ihrem Walt-Disney-Buch zu starren. Und doch hatte George mir Angst gemacht. Wie jeder skrupellose Schurke war er genau auf den schwächsten Punkt seines Gegners losgegangen - das Kind . Verflucht, bis dahin hatte ich nicht mal gewusst, dass ich einen Schwachpunkt hatte. Ich hatte immer für mich selbst gesorgt - und was in aller Welt soll man fürchten, wenn man ausschließlich für sich selbst verantwortlich ist? Jetzt aber hatte ich einen winzigen Menschen zu beschützen, und kaum hatte ich das erkannt, machte es mir höllische Angst. Plötzlich war die Möglichkeit einer Katastrophe in mein Leben getreten.
    Ich brauchte Rückendeckung.
    Ich hatte Mummy, ich hatte Daddy, ich hatte Lizbet, aber das war nicht genug. Ich brauchte alle meine Truppen. Nicht um anzugreifen, sie sollten einfach nur da sein . Als könnte ich George etwas entgegenhalten, wenn ich mich mit Liebe umgab. Ich dachte an Holly Golightly, die über Tiffany sagt: »Da drin könnte nie etwas Schlimmes passieren.« Und dabei dachte ich an das Haus der Hershlags, wo ich früher das Gleiche geglaubt hatte. Solange ich unter dem Schutz der Hershlags stand, würde mir nichts zustoßen. Ich hatte sie verlassen. Und schon war es aus.
    (Mein Gott! Wenn mir jemals der Schädel platzen sollte und diese Gedanken rauspurzelten, würde die ganze Kanzlei über mich lachen. Barnaby würde sich totlachen, und Sophie Hazel Hamilton auch. Ich wäre gezwungen, meinen Hut zu nehmen und mir einen Job zu

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