Meine Schwester und andere Katastrophen
Nacktschnecken gegessen, meine Seele verkauft, was auch immer! - ich hätte einfach alles getan, um endlich ein Baby im Arm zu halten.
Außerdem hatte Cassie Tim ganz richtig eingeschätzt. Er liebte mich. Ich liebte ihn. Ich verhielt mich nur wie ein verzogenes Gör.
Sobald ich im Büro war, setzte ich mich an den Computer und schrieb ihm. Der Chefredakteurin machte ich weis, dass ich an der Kurzgeschichte arbeitete. Oft schlich sie sich von hinten an meinen Computer an - sie war nervös, ein Kontrollfreak und gehörte ehrlich gesagt zu jenen Menschen, die sich eine Katze zulegen sollten, um sich vielleicht etwas Gelassenheit abzuschauen -, aber an diesem Tag ließ sie mich mehr oder weniger in Ruhe. Es gab eine Krise. Schon vor halb elf waren drei erzürnte Anrufe eingegangen, was etwa
so war, als würden sich bei der Times zehntausend Leser telefonisch beschweren.
Lily, unsere Feature-Redakteurin, bekam kein fürstliches Gehalt und war darauf angewiesen, nebenbei etwas dazuzuverdienen. (Ein paar Mäuse, wie sie es nannte. Ich war jetzt zwei Monate dabei, und die Mäuse-, Muschi- und Katerscherze nahmen kein Ende.) Ihre Bengalin - Miss Aphrodite Leopardenschwanz - hatte Lily auf die Idee mit der Schnurrtherapie gebracht. Es war so ähnlich wie eine Musik- oder Tanztherapie. Die Patienten sollten zu Lily nach Hause kommen, sich in einen riesigen, edlen Katzenkorb legen und den Kopf an den Bauch von Miss Aphrodite - einer sanftmütigen, mütterlichen Katze - schmiegen, die daraufhin alle Probleme und den ganzen Stress wegschnurren würde.
Wie jeder Katzenfreund konnte ich für die beruhigende Kraft eines tiefen, brummenden Schnurrens garantieren. Allerdings hätte ich nicht garantieren können, wie eine Katze auf eine endlose Folge von Menschen reagierte, die ihren großen, schweren Kopf an ihren empfindsamen Bauch drückten. Trotz der langen Lobeshymne, die wir in der vergangenen Woche veröffentlicht hatten, hatte sich Miss Aphrodite Leopardenschwanz als unwillige - man könnte fast sagen unprofessionelle - Therapeutin erwiesen. Jedem einzelnen Patienten hatte sie den Kopf mit allen vier Pfoten bearbeitet (wobei die Hinterbeine hektisch auf die Kopfhaut getrommelt hatten), als wäre es ein großer Klumpen Katzenminze oder eine überdimensionale Maus.
Den Brief an Tim zu schreiben war wesentlich schwerer, als ich gedacht hatte. Ich versuchte, an die Sache heranzugehen wie an ein mathematisches Problem. Tim glaubte nicht, dass ich ihn liebte. Ich musste ihn vom Gegenteil überzeugen. Er war ein vertrauensvoller Mensch - wenn er jetzt an
mir zweifelte, musste ich sein Selbstbewusstsein schwer beschädigt haben. Dieser Brief würde länger werden müssen als die Bibel. Ich würde mein Verhalten nach der Fehlgeburt erklären müssen - warum ich nicht auch »Ich liebe dich« sagen konnte, wenn er »Ich liebe dich« zu mir sagte: weil Liebe Lebensfreude erfordert und mir kein Funken Freude geblieben war.
Ich würde ihm begreiflich machen müssen, dass meine Liebe zu ihm unverwüstlich war und dass ich darum geglaubt hatte, ich könnte sie vorübergehend auf Eis legen, während ich mich ganz der Aufgabe widmete, unglücklich zu sein. Und dass ich jetzt erkannt hatte, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Er musste erfahren, dass meine Liebe zu ihm nicht von irgendwelchen Babys abhing, aber dass ich trotzdem gern probieren würde, ein paar mit ihm zu bekommen.
Ich war nicht sicher, ob der letzte Abschnitt wirklich Liebesbriefsprache war. Ehrlich gesagt kannte ich mich überhaupt nicht mit Liebesbriefsprache aus. Es war schwierig, den Brief nicht wie einen dieser aufgeblasenen offenen Briefe aus Das Geständnis der Woche klingen zu lassen, wo eine bedauernswerte Frau dazu überredet wurde, ihre grauenvolle Lebensgeschichte offenzulegen - Bankrott, Mörder, Betrüger, die sich als wohlhabende Ehemänner maskierten usw. - und die Aushilfsredakteure den Text auffrisierten, bis alles vor Gefühl triefte und den Leserinnen, die überzeugt waren, dass sich eine Teepause nur lohnte, wenn ein paar Tränen in die Tasse tropften, garantiert ein paar Schluchzer über ihren Vollkornhaferkeksen entlockte.
Die Übung wäre nicht ganz so schwer gewesen, wenn Tim, wie unsere Mutter, über null emotionales Radar verfügt hätte. Neulich hatte mich meine Schwester aus heiterem Himmel gefragt: »Lizbet, glaubst du, Mutter weiß, dass ich sie liebe?«
»Cass«, hatte ich geantwortet, »Vivica würde gar nicht auf den Gedanken kommen,
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