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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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Lindt, eine Packung Schokoeier und eine Vierhundertgrammpackung belgischer Pralinen. Das meiste davon war mir von anderen geschenkt worden, die meine Sucht nur zu gern förderten. Das konnte alles im Schrank bleiben und mir vor Augen halten, was ich nicht war. Die Versuchung hatte ihren Reiz verloren. Ich verzehrte mich nicht nach dem Geschmack von Schokolade, wie Cassie so gern sagte, sondern nach den Chemikalien. Ich war keine Frau mehr, die jeden Tag gesättigte Fettsäuren verschlingen musste. Ich war eine Frau, die, wenn sie in der Todeszelle ihr letztes Abendessen aussuchen müsste, einen Salat ohne Dressing wählen würde.
    Der Fotograf konnte seinen Airbrush wegpacken. Wenn ich fertig war, würden sie mir Polster in den BH stopfen müssen. (Brot und Kartoffeln hatte ich auch aufgegeben.) Seit unserer flirtenden Begegnung bei Tobys Abschied verachtete ich Kevin umso mehr. Ich verübelte es ihm, dass er mich vor Fletch und der ganzen Redaktion wie ein dummes, billiges Ding aussehen ließ. Dabei trinke ich so gut wie nie! (Das hatte ich Tim erklärt, als wir den prekären Zustand unseres Bankkontos erkannten. »Es ist nicht so, als hätten wir das Geld mit vollen Händen ausgegeben!«, sagte ich. »Ich trinke so gut wie nie! Ich nehme kein Koks! Du spielst nicht, und wir besitzen keine Flotte von Bentleys!« Tim nickte traurig. »Ich weiß«, sagte er. »Wir haben es tatsächlich einfach zum Fenster rausgeschmissen.«) Kevin interessierte sich nur für sich selbst, und ich wusste, dass er mich nur zur Sexkolumnistin in Ladz Mag gemacht hatte, weil ich gerade frei gewesen war.

    Plötzlich war mir hyperbewusst, wie mich andere Menschen sahen, und das gefiel mir nicht. Als Zehnjährige war ich beim Rounders-Spielen immer beinahe zuletzt ausgewählt worden - einen Platz vor Veronica, die eine billige Fußprothese hatte. Ich fühlte mich immer noch als Außenseiterin. (»Tim«, sagte ich einmal, nachdem Freunde von uns ein Abendessen abgesagt hatten, »sind wir Leute, denen andere Leute absagen?«) Wenn Cassie vorbeikam, endeten ihre Besuche unweigerlich damit, dass sie und Tim sich Filmzitate zuwarfen. Zeug wie: »Ich bin kein Tier!« oder »Du kannst jederzeit mein Flügelmann sein!« Ich saß immer steif lächelnd dabei und wünschte mir, mitmachen zu können. Ich war die Dumpfbacke, die keinerlei cineastische Bildung genossen hatte, weil sie zu beschäftigt gewesen war, ihre Zeit mit den Chemiehausaufgaben zu verschwenden, statt Filme zu gucken. Chemie! Wer braucht das denn im wirklichen Leben?
    Zuvor war Tim in meinen Augen fast perfekt gewesen. Jetzt nervte er mich auf Schritt und Tritt. Er fegte den Küchenboden, häufte alle Staubflusen, Krümel und den sonstigen Ekelkram auf einen adretten Haufen direkt neben dem Mülleimer - und ließ ihn dann liegen. Warum machte er sich nicht die Mühe, einmal zu Schaufel und Besen zu greifen? Sauber machen ging anders! Der Dreck war immer noch da, nur auf einen Fleck konzentriert! Noch was: »Lizbet? Hast du meine Schlüssel gesehen? Lizbet? Hast du mein Handy gesehen? Lizbet? Hast du meine Jacke gesehen?« Ja, ja und ja, genau vor deiner Nase, warum machst du deine Augen nicht auf ? Ich war nicht seine Freundin - ich war sein Blindenhund. Ich brauchte nur daran zu denken und spürte sofort, wie mein Blutdruck in die Höhe schoss und ich explodierte.
    Trotzdem. Wir wollten beide das Gleiche - Sex -, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Er wollte ein Baby (als
wäre unser Goldfisch gestorben und wir könnten uns einen neuen holen). Ich brauchte Material für meine Kolumne.
    Ich hatte mich den Lesern von Ladz Mag mit einem Foto vorgestellt, auf dem ich lasziv auf einem dicken Füller kaute und über dem die Überschrift prangte: »UNSERE NEUE FEUCHTE FEDER!« Der Make-up-Artist hatte mir Lippen aufgemalt, unter denen mein halbes Gesicht verschwand, und der Typ mit den Klamotten hatte mich in ein schwarzes Latexkorsett gezwängt. Meine erste Kolumne war ein eintausend Worte langer Aufreißer darüber, dass Männer nie genug Sex haben wollen (oder wollten sie ihn nur nicht mit mir?). Kevin war so begeistert über das Gesabbere - Verzeihung, Feedback - der Leser, die mir ihre persönlichen Dienste anboten, dass er daraufhin beschloss, mein Foto größer herauszubringen und mich persönlich zu »stylen«. (»Ich denke rot-schwarze Hosenträger … Peephole-BH … purer Luxus!«) Außerdem drängte er mich, ein bisschen zu experimentieren und Sexabenteuer zu suchen.
    Das

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