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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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führte zu einigen Missstimmungen, da Tim nicht besonders scharf darauf war, eine Stunde lang nackt und mit verbundenen Augen an einen Stuhl gefesselt dazusitzen, während ich mich in die Situation einzufühlen versuchte. Am wenigsten scharf fand er es, dass Sphinx einen Dreier daraus zu machen versuchte, indem sie am Stuhl hochsprang und ihre Krallen in Tims Hintern schlug. Und er fand es auch nicht besonders scharf, dass ich dabei Notizen machte. Es gefiel ihm gar nicht, dass zweihunderttausend jugendliche Kriminelle und Tante Edith Monat für Monat von unseren horizontalen Erkundungsreisen lesen sollten. Blöd.
    Wohingegen ich - nachdem ich mein gestorbenes Baby nicht einfach auswechseln wollte wie einen geplatzten Reifen - meinen Arzt besuchte und mir einen sechsmonatigen
Vorrat an Antibabypillen verschreiben ließ, was ich aber, damit alle glücklich waren, tunlichst für mich behielt.
    Ganz so einfach funktionierte es nicht. Ich war glücklich. Es war eigenartig erleichternd, sich als jemand anderer zu fühlen. Es war eine nette Abwechslung von der Anstrengung, ich zu sein. Vielleicht hatte Tim recht, und es war nicht normal, dass ich mich auch nach fünf endlos langen Monaten nicht erholt hatte. »Wo ist dein Kampfgeist?«, fragte er mich einmal, aber um die Wahrheit zu sagen, mein war Leben in dem Moment zum Stillstand gekommen, als ich mein totes kleines Mädchen gesehen hatte, und in dieser Hinsicht hatte die Zeit keine Bedeutung mehr für mich. Ich konnte nur sein , indem ich jemand anderer war - und so war meine Persönlichkeit in mehrere Teile zersprungen, weil die pragmatische Hälfte, um nicht unterzugehen, die »Arme Elizabeth Montgomery Hast Du Gehört Was Ihr Passiert Ist« abgespalten hatte.
    Es gefiel mir, wie die Leser reagierten - mit Heiratsanträgen, Anfragen nach getragenen Schlüpfern usw. -, obwohl ich es nicht über mich brachte, die Kolumne zu lesen, wenn sie erst gedruckt war. (Die Fotos entblößten ein bisschen zu viel Busen, die Themen waren ein bisschen zu schweinisch, als dass ich ihnen offenen Auges gegenübertreten konnte.) Solange ich die Kolumne nicht in gedruckter Form las, konnte ich vorgeben, dass sie nicht existierte, dass nicht ich sie geschrieben hatte, dass ich nicht für einen Fetzen verruchter Berühmtheit mein Privatleben verkauft hatte. Aber Tim war unglücklich. Ich war nicht schwanger. Wir hatten innerhalb eines halben Jahres zwei neue Hypotheken aufnehmen müssen. Und gleichzeitig wurde er Monat für Monat landesweit öffentlich bloßgestellt.
    »Ich habe nicht das Gefühl, dass du mit dem Herzen dabei bist«, sagte er, als ich mir ein T-Shirt überstreifte und meinen
Computer hochfuhr. Er pulte eine Bohne in Tomatensoße aus seinem Bauchnabel. »Solltest du nicht auf dem Bett liegen und die Beine an die Wand legen, damit sich der Samen festsetzen kann?«
    Ich seufzte. »Na gut.« Gehorsam kehrte ich ins Schlafzimmer zurück und nahm die geforderte Position ein. Zumindest fand ich dadurch Muße, meine Fingernägel zu feilen.
    Tim beobachtete mich, die Augen halb zusammengekniffen. »Ich bin es leid, dass du mir gegenüber ständig diese Feindseligkeit ausstrahlst«, sagte er. »Es ist jetzt fünf Monate her. Du machst es mir schwer, in diesem Haus zu leben. Ich bin nicht mehr dein Partner, ich bin Teil deiner Stellenbeschreibung.«
    »Das bist du nicht«, erwiderte ich. »Ich schütze deine Privatsphäre. Ich habe deinen Namen geändert, du bist jetzt Tom.«
    Diese Unterhaltung brachte unser Sexualleben zum Stillstand, aber das war okay. Ich tat das, was alle gute Journalisten tun: Ich begann zu dichten.
    Tim vergrub sich in seiner Arbeit. Zum Glück.
    Ich war immer noch wütend auf Cassie, aber Wut ist wie ein Kaminfeuer - wenn man sie nicht ständig schürt, erlischt sie. Insgeheim wollte ich wieder ihre Freundin sein. Ich vermisste sie. Ich dachte an unsere Kindheit, und jede einzelne Erinnerung ließ mich lächeln. Manchmal muss man ein, zwei Jahrzehnte zurückspulen, wenn man einen Menschen nett finden will. Wir hatten jeden Samstagabend bei Tante Edith verbracht, was wirklich schön war, weil Tante Edith ganz anders war als unsere Eltern. Ihre Nachspeisen - mein Gott! Einmal machte sie dieses Ding, das »Galaring« hieß. Es war ein Kranzkuchen mit Ananas unten und Cocktailkirschen obendrauf. Und er war in Brandy getränkt.

    Zu Hause aß Cassie so gut wie nichts, aber bei Tante Edith vertilgte sie eine Unmenge in doppelter Geschwindigkeit. Danach beugte sie

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