Meine Schwester und andere Katastrophen
(ich habe allerdings keine Ahnung, was) und brachte seine endlose Freizeit damit zu, in den Läden der Wohlfahrtsorganisationen nach alten Büchern, Spielsachen, Tellern und Tassen oder anderem Müll zu stöbern. Anschließend arrangierte er jeden Tag außer bei strömendem Regen den ganzen Plunder in Kartons mit der Aufschrift »Alle Bücher 20 p« an der Gartenmauer.
Ich wette, dass ihn die Nachbarn nur gewähren ließen, weil sie Angst hatten, dass jede Missfallensäußerung Kurt dazu treiben könnte, seine gesammelten 20-p-Stücke gegen eine Kettensäge einzutauschen und sie in ihren Betten niederzumetzeln.
George war ohne Zweifel ein guter, loyaler Freund - allen anderen gegenüber. Sein anderer Kumpel, Henry - ein fast zwei Meter großer Schrank mit einem riesigen Mondgesicht -, ging mit einer zierlichen, paranoid-psychotischen Drogensüchtigen, die ihm das Leben zur Hölle machte; trotzdem wollte er sich nicht von ihr trennen. Stattdessen telefonierte er stundenlang mit George und heulte oder jammerte ihm was vor, während George es nie müde wurde, sich ein Ohr abkauen zu lassen und seine weisen, abgeklärten Ratschläge zu anderer Leute Beziehungen abzugeben. Jeder von uns braucht jemanden, auf den er runterschauen kann, und ich nehme an, dass Kurt und Henry diesen Part für meinen Mann übernahmen. Außerdem glaube ich, dass George das Gefühl hatte, ich würde auf ihn herabsehen. Aber wenn dem so war, dann tat ich es aus gutem Grund. Anderen gegenüber war er vielleicht großzügig, aber von mir nahm er ausschließlich.
Als ich von Lizbet nach Hause kam, war George im Lloyd (wahrscheinlich stemmte er Gewichte, um das Beste aus der frustrierenden Situation zu machen). Ich war allein, und ich gestattete mir, an Sarah Paula zu denken. Dass ich so unduldsam war, war allein ihre Schuld. Sie hatte mich zum Verlierer gemacht - im wahrsten Sinn des Wortes. Ich hatte verloren, obwohl ich sonst fast immer gewann, obwohl es mein alles überstrahlender Antrieb war zu gewinnen. Ich hatte Mummy und Daddy als Eltern verloren. Und Sarah Paula hatte ich verloren, noch bevor ich sie kennen gelernt hatte. Außerdem hatte ich Lizbet als Schwester verloren. Und jetzt spielte ich mit dem Gedanken, George zu verlieren und mit ihm die Hershlags, meine Ersatzeltern.
Kann sich irgendwer vorstellen, wie nervig es ist, die eigenen Eltern nicht für gottgegeben zu nehmen? Bis vor kurzem waren sie für mich eine unangenehme Notwendigkeit gewesen, fast wie ein Zahnarztbesuch. Oft tauchte ich am Freitagabend auf, nachdem ich sie drei Monate nicht gesehen hatte, und hatte dann meinen Auftritt, bei dem ich meine neue Jacke, Tasche, was auch immer vorführte. (Mummy hat es nie erwähnt, aber ich weiß, dass mein Job und mein monatliches Gehalt sie beeindruckten. Geld und Macht waren ihr wichtig, sie waren ihr wichtiger, als ein netter Mensch zu sein.) Plötzlich fand ich mich Woche für Woche in ihrem Haus ein. Nicht weil es mir Spaß gemacht hätte. Die Vorstellung, was hätte sein können, machte mich zappelig. Trotzdem musste ich hingehen, ein wenig schmollen und im Zentrum der Aufmerksamkeit zweier tollpatschiger, mittelmäßiger Eltern stehen.
Das überraschte mich selbst, schließlich hatte ich immer problemlos loslassen können - sogar Menschen, die mir sehr nahe standen. Wenn du nichts von mir wissen willst, dann
will ich erst recht nichts von dir wissen, war stets mein Leitspruch gewesen, selbst wenn ich das nicht bewusst so formuliert hatte. Mir wäre das nie aufgefallen, wenn meine exbeste Freundin Natasha nicht nach Madrid gezogen wäre, als ich vierundzwanzig war, und ich - wie sie mir gegenüber bemerkte - reagierte, als hätte sie Hochverrat begangen. Ich besuchte sie nicht, ich schrieb nicht, ich rief nicht an. Um ehrlich zu sein, ich hatte sogar ihre Nummer verlegt. Als ich endlich eine E-Mail schrieb, um sie darum zu bitten - nachdem sie auf meinem Anrufbeantworter die Nachricht »Ich habe Geburtstag! Ruf an, du blöde Kuh!« hinterlassen hatte -, meinte sie, dass das kein Zufall sei. Ich entschuldigte mich, aber unser Kontakt ist immer noch brüchig, und die Freundschaft blieb fortan flüchtig und oberflächlich.
Ich saß im Wohnzimmer und blätterte in einem Katalog für Skireisen. Andererseits konnte ich auch für ein verlängertes Wochenende nach New York fliegen. Vielleicht wäre ein Tauchurlaub ideal. Während der letzten vier Jahre war ich süchtig geworden. Vor Mauritius hatte ich einen kleinen Hai
Weitere Kostenlose Bücher