Meine Schwester und andere Katastrophen
Orangensaft und Keksen, die noch am Abend zuvor vor dem Fernseher aufgebaut worden waren, während die schlaffördernde Erfindung namens Videorecorder bereits präpariert worden war. (»Doktor Who … Schokovollkornkekse … mach … geh«, brummelte sie regelmäßig, wenn ich um sechs Uhr früh in ihr Schlafzimmer gehüpft kam. Lizbet war zu der Zeit immer schon unten und schaute im Zuckerrausch Cartoons.)
Unsere Mutter wurde durch die Kündigung so in ihrem Selbstvertrauen erschüttert, dass sie es nicht schaffte, eine neue Stelle zu finden. Sie arbeitete ein wenig frei, aber die Daily Mail rief meist erst im letzten Augenblick an, wenn sie eine Frau mittleren Alters brauchten, um einen dreihundert Worte langen Artikel über ihre bevorzugte Strandkleidung zu verfassen, der unter dem Titel »Badeanzug oder Bikini?« erscheinen sollte. Unsere Mutter war sofort einverstanden - »Oh, Bikini, Bikini!« -, woraufhin die zuständige Redakteurin ergänzte: »Wunderbar! Da wäre nur noch eine winzige Kleinigkeit. Wir bräuchten ein Foto von Ihnen in Ihrem Bikini. Wir beauftragen einen Fotografen, Sie bekommen einen Friseur und Make-up …« Sie fühlte sich ausgeschlossen, und unser Vater war ihr in dieser Hinsicht keine große Hilfe.
Es ärgerte mich, dass er zu prinzipientreu war, um ihr eine Freude zu machen und auch nur eines der angebotenen Gratisessen in einem »schnieken Restaurant«, wie es unsere Mutter nannte, anzunehmen. Er behauptete, dass er sich niemandem verpflichtet fühlen wollte. Für mich war das eine Ausrede. Wenn ich in ein gutes Restaurant gehe, empfehle ich es natürlich weiter - aus reiner Herzensgüte! Wohingegen es bei meinem Vater zum Job gehörte, gute Restaurants zu empfehlen - er wurde für das bezahlt, was alle anderen umsonst taten! Im Grunde haben wir alle eine Einladung in einem guten Restaurant verdient. Er hätte damit nur das bekommen, was uns allen zustände. Aber manche Menschen rühmen sich so sehr ihrer Prinzipien - auch nur ein abgehobenes Wort für »Entscheidungen« -, dass es zweitrangig für sie ist, ob ihre Mitmenschen glücklich sind. Ich bin sicher, er war der Meinung, dass er für seine Standfestigkeit Anerkennung verdient hatte.
Begriff er denn nicht, dass seine Frau unglücklich war? Ich
hatte das Gefühl, dass Mummy womöglich ein ganz anderer Mensch gewesen wäre, wenn er sich in der Ehe nur halb so viel Mühe gegeben hätte wie im Job. Sie wollte etwas Besonderes sein - nicht nur für ihn -, sie wollte einen Ehrenplatz in der Welt. Warum konnte er sie nicht einmal ins Theater ausführen? Es hätte gar nichts Spektakuläres sein müssen - selbst Karten für die Premiere von Toll trieben es die alten Römer hätte sie dankbar angenommen -, Hauptsache, sie konnte am nächsten Tag den Daily Express aufschlagen, die Theaterkritik überfliegen und denken: »Ich war dabei !« und sich im Zentrum des Geschehens fühlen. Aber das tat er nicht, und darum tat sie es auch nicht. Und wenn sich Mummy unsicher fühlte, wurde sie richtig eklig. Im Ernst, sie hatte Sarah Paulas Briefe versteckt! Ich konnte es ihr halbwegs nachfühlen.
In letzter Zeit sah ich meine Familie in einem völlig neuen Licht, und was ich sah, gefiel mir nicht. Ich wollte, dass wir uns vertrugen. Da ich ausgesprochen konfliktfreudig bin - ich empfinde zwar Liebe, aber fühle mich schrecklich unbeholfen, wenn ich sie zeigen soll -, kam mir dieses Bedürfnis schlicht verrückt vor.
»Wir sollten ausgehen, nur wir vier, und zwar richtig groß, ein bisschen Geld raushauen«, sagte ich. Dann fiel mir ein, wie es um Lizbets Finanzen stand, und ich wurde rot. Eine Woche zuvor hatte George Tim ins Lloyd mitgenommen - obwohl wir alle wussten, dass Tim das Lloyd nicht ausstehen konnte. (»Diese Umkleideräume sind das Letzte«, hatte er nach ihrer Rückkehr gewettert. »Haarige Gorillas, die sich mit dem Fön die Eier trocknen. Und ich halte mir das Ding danach an den Kopf !«) Tim hatte George anvertraut, dass sie erst sechs Monate zuvor eine neue Hypothek aufgenommen hatten, um die Steuern zahlen zu können - »Sieben Riesen,
einfach weg!« -, und kurz darauf hatten sie festgestellt, dass sie noch eine Hypothek aufnehmen mussten, damit sie die nächste Steuervorauszahlung leisten konnten. Der Hypothekenmakler hatte Tim eine entschuldigende E-Mail geschickt: »Ich fürchte, dass Southern Rock Ihnen nicht allzu gewogen sind und drohen, Gebühren zu erheben oder einen Kontoauszug einzufordern …«
So wie ich Lizbet
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